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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Autoren: Michael Winterhoff
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Strukturen, Training von Abläufen oder das Setzen von Grenzen geht, widerspricht das keinesfalls der Forderung nach einem liebevollen Umgang mit und nach Nähe zum Kind. Erst beides zusammen sorgt für die Ausbildung aller Fähigkeiten, die die Kinder zum Leben brauchen.
    Auffällig ist jedoch, dass viele Erwachsene, auch jene, die ganz offensichtlich alles für ihr Kind tun, sich die ganz normalen
Entwicklungsstufen, die ein Kind durchlaufen sollte, kaum bewusst machen. Das gilt für alle Bereiche, von der Sprache bis zur Motorik - so sollte ein Kind beispielsweise im Alter von zehn bis zwölf Monaten Einwortsätze sprechen können, mit 12 bis 14 Monaten müsste es unter anderem in der Lage sein, aufrecht zu gehen.
    Mit drei Jahren ist die Sprachentwicklung im normalen Verlauf bei Drei- bis Vierwortsätzen angekommen, die Sauberkeitserziehung ist soweit, dass das Kind tagsüber trocken ist. Und vor allem: Es hat gelernt, sich in Abwesenheit der Eltern von externen Respektspersonen führen zu lassen und sich unauffällig in einer größeren Kindergruppe zu bewegen. Was nichts anderes heißt als: Das Kind ist in der Lage, in den Kindergarten zu gehen. Entsprechende Weiterentwicklung im sprachlichen und sozialen Bereich führen schließlich dazu, dass Sechsjährige die Schulfähigkeit erlangt haben sollten.
    Neben diesen Entwicklungen durchläuft das Kind im psychischen Bereich verschiedene Phasen und erlangt dabei unterschiedliche Reifestufen. Diese zeigen sich darin, wie das Kind die Welt um sich herum erlebt, daher nenne ich diese einzelnen Entwicklungsstufen »Weltbilder«.

Wie ein Kind die Welt erlebt: Weltbilder
    Wenn man sich Gedanken macht, wie die Psyche eines Kindes im Idealfall einmal aussehen sollte, so müsste das Ziel sein, dass der 20-jährige Mensch über eine altersangemessene ausgereifte, anderen gesunden Erwachsenen vergleichbare psychische Reife verfügt.
    Als Psychiater, der sich in seiner täglichen Arbeit ausschließlich mit Störungen befasst, sind die individuellen,
in der Hauptsache durch Vererbung erlangten Anteile der Psyche für mich weitestgehend zu vernachlässigen, sie spielen auch für die hier dargestellten Fehlentwicklungen keine Rolle. Die zentrale Frage, die für meine Arbeit von Belang ist, lautet: Welche formbaren Anteile der Psyche sind wichtig, damit der erwachsene Mensch selbstständig leben kann? Wie muss sich Psyche entwickeln, damit Menschen Beziehungen zu anderen Menschen leben können, damit sie erfolgreich arbeiten gehen können, oder auch damit sie eigene Gefühle richtig einschätzen und entsprechend kontrollieren können.
    Um das zu leisten, benötigt der Mensch im Wesentlichen zwei Anteile der Psyche: zum einen sind das psychische Funktionen wie etwa Frustrationstoleranz, Gewissensinstanz, Arbeitshaltung oder auch Leistungsbereitschaft. Diese Funktionen müssen nach und nach ausgebildet werden, um einen optimalen Aufbau der Psyche zu gewährleisten. Zum anderen sind dafür Weltbilder nötig, also eine ganz bestimmte Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum und unsere Position in ihr wahrnehmen und interpretieren.
    In unserer westlich geprägten, christlich orientierten modernen Gesellschaft sieht das Weltbild im Wesentlichen so aus, dass wir uns als Individuen im Rahmen einer größeren Gesellschaft erfahren. Bevor sich dieses Weltbild beim erwachsenen Menschen etablieren kann, durchläuft ein Kind bei einer gesunden Entwicklung drei verschiedene Phasen, in denen sich sein Weltbild jeweils ändert: die orale, die anale und die magisch-ödipale Phase.
    Die orale Phase
    Die orale Phase hält von der Geburt bis zu einem Alter von etwa anderthalb bis zwei Jahren vor. In dieser Phase kann man das Weltbild des Kindes mit dem Satz »Ich bin, was ich
bekomme« beschreiben. Diese Zeit ist jene, in der die sofortige Bedürfnisbefriedigung des Kindes eine zentrale Rolle spielt. Das noch sehr kleine Kind muss in der oralen Phase die Erfahrung machen, dass eine direkte Bezugsperson vorhanden ist, die dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe und schnellem Stillen von Hunger und Durst nachkommt. So wird ein Neugeborenes im Allgemeinen, wenn es Hunger hat, nicht schreien, da es noch gar nicht sehen kann, ob die Objekte, die seinen Hunger stillen könnten, Mutterbrust oder Flasche, in der Nähe sind. Es fantasiert aber die Nähe der Brust und würde
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