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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Autoren: Michael Winterhoff
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zu erziehen. Diese beinhaltet den Gedanken an Führung durch stetiges Training grundsätzlicher Verhaltensweisen und durch Spiegelung bei Fehlverhalten. Die moderne, auf dem Partnergedanken beruhende Denkweise setzte sich erst beim älteren Kind bzw. Jugendlichen langsam durch, wenn davon ausgegangen werden konnte, dass ein eher erklärendes als steuerndes Erziehungsverhalten Sinn macht. Es lag also eine Form des Mischdenkens vor, die traditionelle und moderne Ansätze sinnvoll miteinander verband.
    Bezogen auf die Analyse des Systems Gesellschaft lässt sich konstatieren, dass wir heute fast ausschließlich dem modernen Denken unterliegen. Der alte Kant’sche Leitsatz »Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen« ist in unserer spätaufklärerischen Gesellschaft zum Mantra geworden, das wir innerlich unablässig vor uns hinmurmeln und das unterschiedslos auf alle Menschen in unserer Umgebung projiziert wird. Folglich unterstellen wir, diesem modernen Denkansatz folgend, auch Kindern die Fähigkeit, das »Sapere aude« zu leben und verstandesgesteuert ihr Verhalten einrichten zu können. Die Bildung der Psyche wird dabei außer Acht gelassen und als selbstverständlich vorausgesetzt.
    Die Tatsache, dass wir uns - gefangen im modernen Denken - erst darüber bewusst werden müssen, dass das Thema
Psyche und psychische Reifeentwicklung langfristig zentral für den Umgang mit unseren Kindern werden wird, ist die wichtigste Erkenntnis meiner Analyse des »Systems Gesellschaft«. Heutige gesellschaftskritische Ansätze gehen überwiegend von einem sozialen Defizit der Eltern problematischer Kinder aus. Die gängigen Erklärungsmodelle, die auch die mediale Berichterstattung dominieren, sprechen von Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern und diese mehr oder weniger verwahrlosen lassen. Auf die Mehrzahl der Erwachsenen, die ich in meiner Tätigkeit kennen lerne, trifft das jedoch nicht zu. Auffällig sind heute häufig auch Kinder aus guten Elternhäusern, mit rund um die Uhr besorgten Eltern, die extrem um ihren Nachwuchs bemüht sind.
    Die aus diesem - im Vergleich zu früheren Zeiten unermesslichen - Wohlstand erwachsende Ziel- und Sinnlosigkeit des Alltags ist der Nährboden für die erste Beziehungsstörung der Partnerschaftlichkeit. Es ist jedoch verständlicherweise schwierig, Wohlstand als Defizit zu begreifen. Im psychischen Sinne muss das gesellschaftliche Verhalten jedoch genauso interpretiert werden. Der Wegfall von »Sinn vollen« Zukunftszielen der Elterngeneration, die Übersättigung an sich selbst bedingen bereits ein Fokussieren auf die eigenen Kinder als Hoffnungsträger einer neuen Generation und als Sinnbild von Zukunft. Der Schritt dahin, die Kinder auf eine Ebene mit sich selbst zu ziehen, also zu Partnern zu machen, ist letztlich nicht mehr weit und scheint fast zwingend.
    Vor dem Hintergrund dieses gesellschaftlichen Wandels entstanden zu Beginn der 90er-Jahre auch entsprechende Konzepte in Kindergarten und Schule. Es handelte sich dabei um die bereits beschriebenen offenen Erziehungskonzepte, die nicht geeignet sind, psychische Funktionen bei den Kindern einzuüben, da auch hier die Kinder partnerschaftlich behandelt werden und eine Persönlichkeitsbildung über stetes
Erklären, Reden, Begreiflichmachen erwartet wird. Das Kind soll durch Erklären lernen und anschließend selbstständig entscheiden, was für es gut ist.
    Der gesellschaftliche Effekt dieser Störung im Bereich der pädagogischen Arbeit ist heute auf dem Arbeitsmarkt zu besichtigen: Die Probleme im Ausbildungsbereich habe ich bereits mehrfach angesprochen. Mit meinem Modell der Beziehungsstörungen lassen sich die typischen Klagen der Arbeitgeber sehr gut erklären. Eine fehlende oder schlecht ausgeprägte Arbeitshaltung etwa hat einfach damit zu tun, dass diesen jungen Arbeitnehmern die psychischen Funktionen fehlen, die notwendig wären, um beispielsweise auch gute Arbeit abliefern zu können, wenn draußen schönes Wetter ist, das eigentlich nach Biergarten und Freibad verlangt. Eine gesunde Psyche ist in der Lage, die als vorrangig erscheinenden Lustbedürfnisse des Biertrinkens und Badens auszublenden und es dem Menschen zu ermöglichen, sich trotzdem auf die Arbeit zu konzentrieren. Der in einer partnerschaftlichen Beziehungsstörung aufgewachsene Mensch wird hiermit erhebliche Probleme
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