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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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Seine gestiegene Nervosität hat uns vermutlich den Kontakt ermöglicht, aber auch zu einer Überreaktion geführt. Wir müssen subtiler vorgehen.
    Das wird im nächsten Brief an Karstadt bestätigt. Dagobert wirft der »Kripo« »Sabotage« vor und mahnt den Konzern: »Wen Sie bei der Geldübergabe weiter auf die Polizei vertrauen, wird der Schaden für Sie um ein vielfaches steigen.« Nun nutzt er die Keiltechnik. Er versucht die Polizei und den Erpressten auseinanderzutreiben. Am Schluss fordert er auch, »mit einem Herren oder einer Dame von der Geschäftsleitung zu sprechen«.
    Als ich den Brief lese, wird mir klar: Unser Ansatz ist nicht falsch, wir müssen allerdings noch den richtigen Ton finden. Dagobert muss das Gefühl haben, die Entscheidungen selber zu treffen. Wir müssen noch stärker Rücksicht auf seine Unsicherheit und seine Kränkbarkeit nehmen. Und immer müssen wir ihm Verständnis für seine vermeintliche innere Notsituation signalisieren. Die Aussicht auf Erfolg seines Übergabeplanes darf nicht in Frage gestellt werden. Wir dürften ihm keine Gegenvorschläge mehr machen, sonst könnte er wieder aggressiv werden. Appelle an die Vernunft und sein Verantwortungsgefühl könnten wahrscheinlich belehrend, bevormundend wirken und sich nicht mit seinem Unterlegenheitsgefühl vertragen.
    Ich sage in unseren Sitzungen, dass dies aus meiner Sicht der Weg zu ihm sein muss, um weitere Bomben zu verhindern und ihn festzunehmen.
    Aber nicht immer herrscht Einigkeit.
    Große Konzerne beschäftigen oft eigene Sicherheitsberater. Meist ist ein externer, neutraler Profi auch für uns hilfreich, um seinem Auftraggeber zu vermitteln, dass unser Vorgehen angemessen ist. Aber dieses Mal ist es anders. Karstadt hat einen erfahrenen und angesehenen ehemaligen Polizeipsychologen engagiert. Der Mann hat zuletzt vor allem im Ausland gearbeitet, in Krisenregionen, bei Entführungs- und Erpressungsfällen in Südamerika. Sein Konzept sieht vor, Dagobert davon zu überzeugen, einen neutralen Vermittler einzuschalten, der ihm das Geld persönlich übergibt – so wie es in Südamerika üblich ist. Der Kollege verhandelt häufig mit Terroristen oder Mitgliedern eines großen Kartells, die einen entschlossenen und rauen Ton gewohnt sind und ein Gegenüber überhaupt erst für voll nehmen, wenn es sich Respekt verschafft hat.
    Im ersten Telefonat drängt er, »neue Wege« zu finden. Dagobert legt einfach auf. Auch den nächsten Anruf, in dem der Kollege die Übergabe verschiebt und unkompliziertere Bedingungen fordert, beendet Dagobert mit grußlosem Auflegen. Natürlich ist sein Weg auch ein Versuch, der auf einer vorläufigen Einschätzung des Täters basiert. Wir haben in solchen Fällen nur Hypothesen, keine letzten Wahrheiten. Die Südamerika-Variante ist es zumindest nicht.
    Am 6. Dezember 1993 zündet Dagobert nach eineinhalb Jahren seine gefährlichste Bombe. Sie explodiert in einem Berliner Karstadt mittags um 12 Uhr in einem Fahrstuhl, niemand wird verletzt, aber es entsteht ein Sachschaden von 35 000 Mark. Dagobert schreibt, dass der Polizeipsychologe wohl glaube, dass er nicht fähig sei, Menschen körperlichen Schaden zuzufügen oder Menschen zu töten. Er werde das Gegenteil beweisen, da man ihm keine andere Wahl lasse. Tatsächlich habe auch ich ihn so eingeschätzt. Muss ich diese Einschätzung nun revidieren? Warum ist – während der normalen Geschäftszeit – niemand zu Schaden gekommen? War das Zufall? Genau kann das niemand sagen.
    Eines ist jedoch klar: Wir brauchen einen neuen Sprecher, der mit der leichten Kränkbarkeit des Täters umgehen und ihn locken kann.
    Hauptkommissar Klaus Springborn scheint der perfekte Mann für diese Aufgabe. Seine dunkle Stimme wirkt sehr seriös. Außerdem hat er eine für Verhandlungen äußerst hilfreiche Eigenschaft: Respekt für sein Gegenüber. Ich habe ihn und seine Wirkung auf Menschen bei einer Geiselnahme erlebt: Während bei so manchem Beamten die Wut schon hochkochte, blieb Springborn stets höflich, freundlich und respektvoll. Seine Grundhaltung ist, dass jeder Mensch Respekt im Umgang verdient. Genau das ist es, was unser Gesprächspartner dringend braucht.
    Doch bevor Springborn seine Wirkung entfalten kann, folgt Dagoberts spektakulärster Übergabeversuch. Diesmal muss unser Bote zu einem Berliner S-Bahnhof, wo er auf einem stillgelegten Gleis eine Kiste vorfindet. Sie liegt auf einem Wagen, der auf vier Rädern auf dem Gleis steht. In der Kiste liegt
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