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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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die Profis von der Polizei. Und soll es dennoch zum Scheitern kommen, muss er Verständnis für die Amateure haben und gleich am nächsten Tag anrufen.
    Allerdings beginnt das Gespräch gleich mit einer Überraschung. »Haben Sie im Spiegel den Bericht gelesen?«, fragte die Piepsstimme. »Die Polizei ist nicht bereit, mir das Geld zu geben.« Wir haben den Artikel natürlich gelesen. Springborn parierte sicher: »Die Polizei braucht ja auch nicht bereit zu sein. Aber die Karstadt AG ist bereit.«
    Auch diese Lösung hat uns Dagobert selbst angeboten, indem er versucht hat, Karstadt gegen die »böse« Polizei auszuspielen. Eine Erpressung ist weniger ein Boxkampf mit einem wilden Schlagabtausch. Sie ist vielmehr ein Judokampf, in dem man geschickt die Energie des Angreifers in andere Bahnen lenken muss, um zu gewinnen.
    Springborn ist ein guter Judoka. Dagobert sagt zu, die Übergabe auf einen Termin in frühestens neun Tagen zu verlegen, weil »die Herren vom Vorstand«, wie Springborn sie nennt, sich nicht vorher treffen können. Und damit der Karstadt-Sprecher nicht ständig auf einen Anruf warten muss, legt sich Dagobert auf ein Telefonat am folgenden Donnerstag zwischen 17 und 18 Uhr fest. Langsam können wir ohne Risiko günstigere Bedingungen schaffen.
    Pünktlich um 17:08 Uhr klingelt am Donnerstag das Telefon. »Bevor Sie reden, möchte ich den nächsten Geldübergabetermin bekanntgeben«, sagt Dagobert. »Das wäre dann der Mittwoch nächster Woche.« Dann spricht Springborn nochmals den Spiegel -Artikel an: »Ich kann Ihnen nur immer wieder versichern, auch wenn es aus irgendwelchen Gründen scheitern sollte, wir sind zahlungsbereit. Und lassen Sie sich bitte nicht durch solche Artikel in der Presse leiten.« – »Sicher ja«, antwortet Dagobert. »Ich sage auch im Großen und Ganzen, Details sind teilweise falsch.«
    Wie immer bei diesen Gesprächen sitzen Springborn und ich uns gegenüber. Mal deute ich auf eines der Ziele auf unserem Flipchart. Mal hebe ich den Daumen, um Springborn zu bestätigen, dass es gut läuft. Manchmal schüttele ich den Kopf, wenn ich das Gefühl habe, dass der Dialog sich in eine gefährliche Richtung entwickelt. In diesem Gespräch hebe ich häufig den Daumen.
    »Ich habe mit meinen Mitarbeitern gesprochen«, fährt Springborn fort. »Es scheiterte häufig, weil wir auch was falsch verstanden haben. Unser Wunsch wäre, dass Sie es so gestalten, dass wir das auch leichter den Mitarbeitern rüberbringen können.« – »Bei der nächsten Übergabe wird es wahrscheinlich keinen Zweifel geben«, verspricht die Piepsstimme.
    Die nächste Übergabe verschiebt der Täter zweimal.
    Springborn muss dafür sorgen, dass sein Gesprächspartner zuverlässiger wird, aber zugleich darf er ihn nicht reizen. Er klagt im nächsten Telefonat über die Verschiebungen und spannt zugleich ein Rettungsnetz für die nächste Übergabe: »Da sind immer Dinge, dass zeitliche Verzögerungen oder andere Dinge auftreten, die wir beide vielleicht nicht zu vertreten haben. Und dann wäre eine Bombe überhaupt kein Ausweg.« Aber der Druck müsse nun mal bleiben, entgegnet Dagobert. »Sie haben uns mehrfach bewiesen, dass Sie in der Lage sind, durch Ihre Bomben erheblichen Schaden anzurichten. Wir sind uns auch darüber einig, dass es bisher ein glücklicher Umstand war, dass Menschenleben nicht zu Schaden gekommen sind.«
    Springborn setzt all das um, was wir vorbereitet haben. Dagobert hat nach diesem Einwand eine noch höhere Hürde zu überwinden, um vor sich selbst eine Bombe zu rechtfertigen. Sein liebstes Argument »die nehmen mich nicht ernst und zwingen mich« ist zumindest in Frage gestellt. Auch dass er Menschen gefährdet, kann er vermutlich nicht mehr so leicht ausblenden. Wir haben dazu bewusst die Formulierung gewählt: »Wir sind uns einig.« Springborn hat so eine gemeinsame Wahrheit ausgesprochen. Ich bin mir sicher, dass Dagoberts Hemmungen gestiegen sind: Er will von seinem Gegenüber Anerkennung ernten und gemocht werden.
    Es hat sich sehr schnell eine zumindest vordergründige Vertraulichkeit zwischen dem Erpresser und Springborn entwickelt. Man darf die zunehmende Einsamkeit und die wachsende Ohnmacht von Tätern nicht unterschätzen. Natürlich weiß Dagobert, dass der höfliche Herr, mit dem er am Telefon spricht, ihn am liebsten im Gefängnis sehen möchte. Aber zugleich ist dieser Mann die einzige Person, mit der er überhaupt über sein Verbrechen reden kann. Es ist ein tiefes
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