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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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ihn so hervorlocken? Bestimmt. Aber es könnte diesen empfindlichen Menschen auch zu sehr provozieren. Er würde vielleicht wieder eine Bombe legen. Doch es gibt da noch den zweiten Aspekt: seine moralische Eitelkeit. Wir glauben: Er will nicht als Verbrecher gesehen werden. Hier müssen wir ansetzen.
    So gibt der Polizeiführer im März 1993 ein Interview, in dem er beiläufig einen Satz fallenlässt: »Vielleicht will er gar kein Geld, sondern nur Angst und Schrecken verbreiten und aufwendige Fahndungsmaßnahmen der Polizei auslösen.«
    Es wirkt. Einen ganzen Winter ist das Spiel von an- und abgesagten Übergaben gelaufen, als Dagobert im April 1993 den nächsten Versuch ankündigt. Er findet tatsächlich statt. Am 19. April wird der Geldbote zum Bahnhof Zoo in Berlin beordert. Der Bote soll wieder ein Schließfach öffnen. Und dort wartet die Überraschung.
    Der Täter hat die Zeit genutzt. Er hat einen neuen Plan.
    Zwei Gefrierbeutel, eine Aldi-Tüte, ein Schlüssel mit angehängtem Sechskantschlüssel und ein Zettel liegen im Fach. Das Geld soll in die Beutel gepackt, in die Tüte gesteckt und zu einer Kreuzung in Berlin-Britz gebracht werden. An der Kreuzung steht eine »Streusandkiste«. Zu ihr passt der Schlüssel. Darin liegt eine weitere Anweisung: Der Bote soll die Tüte auf den Streusand legen und die Kiste abschließen. Der MEK -Mann durchwühlt die Kiste kurz, legt um 22:09 Uhr ein Paket mit Peilsender, ausstaffiert wie ein echtes Geldpaket, in die Kiste und schließt sie ab. Der Täter wird gar nicht so weit kommen, das Paket zu öffnen, glauben wir.
    In Hamburg sitzen Michael Daleki und unser Team im großen Besprechungszimmer und lassen uns die Lage vor Ort berichten. Ich kann es nicht so recht glauben: Dagobert scheint direkt in die Falle zu stolpern. Ist dieser kontrollsüchtige Täter auf einmal leichtsinnig geworden? Der Leiter des Einsatzabschnittes »Operative Maßnahmen« Reinhard Bromm gibt die Anweisungen durch. In Berlin überwachen Techniker des MEK in zwei Wagen die Bewegungen des Peilsenders. Zivilbeamte beobachten die Kiste. Sie warten. Fast eine Stunde lang passiert nichts. Niemand erscheint. Nichts. Keine Bewegung. Bis 23:07 Uhr. Auf einmal kommt ein Anruf der observierenden Beamten: Der Peilsender meldet heftige Bewegungen, aber niemand ist zur Kiste gegangen. Wie kann das sein? »Öffnen und hineinschauen«, befiehlt Daleki.
    Die Meldung kommt um 23:15 Uhr. Die Beamten haben die Kiste geöffnet. Ihr Boden ist durchschlagen. Die Kiste steht nicht auf dem Asphalt, sondern über einem Abwasserschacht. Der Täter hat sie von unten aus dem Kanal geöffnet, hochgegriffen, das Paket gepackt und schnell festgestellt, dass er wieder kein Geld erhalten hat. Er hat das Paket liegenlassen und ist durch die Kanalisation geflohen.
    Das Duell ist noch nicht beendet.
    In der Nacht vom 18. 5. auf den 19. 5. 1993 explodiert in der Fernsehabteilung des Bielefelder Karstadt eine Rohrbombe in einem abgestellten Ölkanister. Der Kanister ist mit Benzin gefüllt, um ein Feuer zu entfachen. Es entflammt zwar nicht, dennoch entsteht ein Schaden von 20 000 Mark. Eine Woche später geht das nächste Täterschreiben bei Karstadt ein. Die öffentliche Häme nimmt zu, der Trick mit der Kiste hat dem Erpresser endgültig den Status eines cleveren Tüftlers gebracht, der die Polizei und den reichen Konzern narrt. Wir stehen noch stärker unter Druck.
    Dagobert meldet sich nicht mehr.
    Wochen vergehen. Hat er aufgegeben? Ich kann es mir nicht vorstellen. Dieser Mann wird keine Bombe legen, um sich mit einem Bestrafungsakt zu verabschieden. Wahrscheinlich braucht er einfach nur Zeit für einen neuen Plan.
    Auch wir nutzen die Zeit. Wir zweifeln immer mehr, ob wir ihn bei einer Übergabe festnehmen können. Doch es gibt andere Optionen. Wir können ihn vielleicht anhand seiner Spuren identifizieren. Bei der Beinahe-Verhaftung war es nicht gelungen, das Gesicht des Erpressers zu erkennen. Aber immerhin hat Dagobert bei seinen panischen Fluchten einige Gegenstände verloren: ein Nachtsichtgerät, eine Perücke, eine Brille und Funkgeräte. Wir haben auch die Bauteile seiner Abwurfgeräte und die Bestandteile seiner Bomben. Bisher führen diese Spuren uns jedoch nirgendwo hin. Außerdem gibt es noch seine Anrufe. Zur damaligen Zeit existieren nur wenige digitale Telefonanschlüsse, weshalb sich die Anrufe nicht immer zurückverfolgen lassen. Aber wenn, dann kommen sie aus öffentlichen Telefonzellen. Können wir ihn
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