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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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Matth.  13,16) … der Himmel als Hochzeitsmahl … die Verkündung des Friedens …
    Eine über die Aufklärung aufgeklärte Philosophie der Offenbarung öffnet sich diesem poetischen Reichtum. Vorausgesetzt wäre ein poetisches Wahrheitskonzept. Kein Besonnener wird sich auf es berufen, um die historisch-kritische Exegese zu ‹überwinden›. Es funktioniert anders: Es macht jede Wahrheitsbehörde überflüssig; es vergißt protestantische ‹Lehrzuchtverfahren›, wäre diese geistlose Vokabel nicht allein schon wegen ihrer Häßlichkeit unvergeßlich. Wer religiöse Reden poetisch nimmt, hat kein Toleranzproblem; er darf Paulus kritisieren, auch wenn dies zur Distanzierung vom späten Augustin und Luther führt.

    Wer kein Christ mehr ist, verliert damit nicht den Zusammenhang mit der christlichen Kultur. Er achtet ihren Bildervorrat, hört Monteverdis Marienvesper und besucht den frommen Bildersaal der Kunstgeschichte. Er betritt offen – so distanziert wie beeindruckt – die Kathedrale von Chartres, auch wenn er nicht kommt, um zu beten. Er freut sich an der Legendenwahrheit, daß Franziskus den Vögeln predigte. Liebte er nicht auch den Wolf von Gubbio? Und dann gibt es noch die Erzählung vom Rosenwunder der heiligen Elisabeth: Sie habe Brot aus dem fürstlichen Haushalt in ihrer Schürze zu den Armen getragen, da sei ihr Gemahl ihr begegnet und habe, Verschwendung fürchtend, gefragt, was da drin sei, und sie habe geantwortet: «Rosen». Sie schlug die Schürze auf für den kontrollierenden Landgrafen, und es waren Rosen. Gottes Allmacht hatte ein Wunder gewirkt zugunsten der Lügnerin.
    Noch schöner ist die Legende vom Ehebett der Elisabeth. Die Tochter des Königs von Ungarn hatte einen kranken Bettler auf der Straße aufgelesen. Sie wusch ihn und legte ihn in ihr Ehebett. Ihr Eheherr kam – wie bei Ehebruchgeschichten üblich – früher als erwartet von der Reise zurück und wollte wissen, was das in seinem Bett sei. Sie schlägt die Decke zurück, und alle sehen im fürstlichen Ehelager ein hölzernes Kruzifix.
    Muß man an Gott glauben, um diese Erzählung sinnvoll und erheiternd zu finden? Ein mittelalterliches Gemälde in der Elisabethenkirche in Marburg stellt sie dar. Es zeigt das Poetische der Religion, bei dem kein denkender Mensch fragt, ob es ‹wirklich› passiert sei.
    Ich kann an dieses ‹Wunder› ‹glauben› und gleichzeitig sagen, es sei Legende; Ich zähle den Vorgang nicht zur Welt der Fakten. Ich halte ihn für wahr nur in dem Sinn: Der als ‹wirklich› erdachte ‹Gott› steht auf der Seite derjenigen Wohlhabenden, die für Bettler produktive Phantasie entwickeln und Konflikte riskieren. Die wahre Religion lehrt, daß die verschwenderische, fast verrückte Nächstenliebe einer jungen Frau höher steht als die noch so berechtigte Kontrollsucht des zu früh heimkommenden Ehemanns. Der ‹wahre› Gott stellt sich auf ihre Seite, selbst im streng-kantianisch programmierten Marburg.
    Ob man nun Christ ist oder nicht: Wer über Christentum nachdenkt, könnte sich auf die vergnügliche Jagd nach solchen Bildern machen. Eine solche zweite Ausfahrt wäre kein Kompromiß.
    Um von ihr noch eine kleine Probe zu geben, komme ich noch einmal auf das Thema ‹Himmel› zurück, nachdem ich es hinreichend entmythologisiert habe. Es ist damit nicht erschöpft. Ich kann es neu meditieren. Ich zeige das an einem winzigen poetischen Fragment. Es besteht aus nur zwei Zeilen, die isoliert überliefert sind; wir kennen keinen literarischen Zusammenhang. Es ist ein einziger religiös-poetischer Satz:
Immer, Liebes! gehet
Die Erd und der Himmel hält.    [71]  
    Ein Bruchstück aus dem Gespräch von Liebenden. Unten ist die Erde, oben der Himmel. Die Stimme – des Mannes zur Geliebten? Der Mutter zum Kind? – beruhigt: Unten ist Unruhe, oben Halt und Ruhe. Der Himmel «hält», das heißt nicht nur, daß Ruhe bei ihm zu finden ist, sondern daß er trägt und sichert. Er hält die Erde und damit auch uns. Die ältere Sprache fordert das zweite e bei ‹gehet› und erlaubt die vom Dialekt vorgegebene Kurzform «Erd» ohne Schluß-e, was dem langen Stammvokal starken Ton gibt. Der intime Satz gibt Zuversicht, ohne etwas Kosmologisches oder Theologisches zu behaupten. Keine Autorität spricht da, sondern ein Liebender. An diesem Himmel gibt es nichts zu glauben und nichts zu entmythologisieren. Hölderlin redet von Erde und Himmel ohne dogmatischen Anspruch. Der Satz klingt hell;
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