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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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und mit Kardinal Joseph Ratzinger im Großen Amphitheater der Sorbonne über ihre Wahrheit diskutiert. Das Ergebnis war nicht Haß, sondern ruhige, sogar heitere Distanz. Ich bin kein Christ mehr. Hier möchte ich erklären, warum.
    Es geht mir, wie gesagt, um die christliche Lehre. Aber schon höre ich den Einwand, das Christentum sei nicht in erster Linie Lehre , sondern Leben. Wo es wirklich Leben ist, werde ich es nicht kritisieren. Aber es ist inzwischen 2000 Jahre alt. Es hatte lange die Macht und konnte zeigen, was es bewirkt. Es ergriff jede Gelegenheit zu erklären, worum es ihm geht. Gleichwohl halten viele Mitmenschen sich für Christen, kümmern sich aber wenig oder gar nicht darum, was das Christentum über sich sagt. Das hat gute Gründe; es ist ihnen nicht vorzuwerfen, daß christliche Lehren das Leben kaum noch erreichen. Aber den Spott Fichtes haben sie verdient, nicht wenige Christen redeten sich und anderen ein, «sie glaubten etwas, wenn man bloß nichts dagegen hat, und es ruhig an seinen Ort gestellt sein läßt.» Die christlichen Kirchen selbst haben sich in ihren drei Hauptformen – östliche Orthodoxie, römischer Katholizismus und protestantische Kirchen – unendlich oft selbst dargestellt. Sie haben Glaubensformeln und Konzilsbeschlüsse, Bekenntnisschriften, Lebensregeln und Rituale geschaffen; Synoden und Lehrämter haben die Lehre des Christentums verbindlich festgelegt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein besaß es zudem die Liebenswürdigkeit, der Klarheit halber hinzuzufügen, wer seiner Lehre widerspreche, sei für immer verdammt. Es gebrauchte die Formel der Verwerfung so oft, daß es für sie eine eigene Abkürzung erfand. In älteren theologischen Büchern liest man dann nur a. s., anathema sit , er sei verdammt. Es gab auf die Fragen: «Was wollt ihr denn? Was glaubt ihr?» Antworten im Übermaß.
    Die Auskünfte fallen nicht übereinstimmend aus. Der christliche Glaube hat eine Geschichte voller Streit und Divergenzen. Wer heute fragt, was Christen glauben, bekommt hundert Antworten. Aber sie zeigen Gemeinsamkeiten. Und die holen sich die verschiedenen Gruppen aus der fernen Vergangenheit, aus Büchern, die um das Jahr 100 entstanden sind, auch aus Beschlüssen von Kirchenversammlungen des 4. und 5. Jahrhunderts und von Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts. Sie verleugnen das gelegentlich. Sie wollen jünger aussehen als sie sind. Kleine Gruppen brechen Einzelteile aus dem alten Gebäude heraus. Aber sie sagen, sie böten das ‹ursprüngliche› Christentum; auch sie beziehen das christliche ‹Leben› auf ‹Tradition›.
    Die Kirchenoberen, die wir am meisten sehen , treten museal auf. Das ist kein Zufall. Sie denken ungefähr so, wie sie sich zeigen – mit Titelpomp wie ‹Seine Heiligkeit›, altertümelnd und exotisch, mit Gewändern und Wortungetümen wie ‹Superintendent›. Das repräsentative kirchliche Leben pflegt seine sklerotisierte Form. Wir sehen mit Vorliebe ältere Herren in urtümlicher Kleidung und hören eine altmodische Sprache. Einige von ihnen fühlen den Druck, die museale Tonart abzulegen. Der eine oder andere Theologe liefert aktualisierte Abschwächungen. Ein frommer Pater spricht Mut zu; er verlegt sich auf Seelenpflege; Lutheraner weichen gern in die Umwelt aus. Aber die Ausbruchsversuche bleiben wie mit Fußfesseln ans Vergangene gebunden. Wer das Christentum der Gegenwart kennenlernen will, kommt um seine altertümelnden Selbstauslegungen nicht herum. Ich bestreite nicht, daß es irgendwo christliches Leben gibt. Mit Papstbegräbnissen und Reformationsjubiläen wird es niemand verwechseln. Auseinandersetzungsfähig sind die historisch vorliegenden Selbstfestlegungen. Daher muß, wer heute über das Christentum nachdenkt, sich oft an alten Bestandstücken orientieren, am besten an dem Glaubensbekenntnis, das Katholiken wie Protestanten feierlich ablegen.

    Es liegt nicht an mir, daß das Christentum alt aussieht. Seine Anfänge liegen 2000 Jahre zurück. Natürlich hat es nicht schon deswegen unrecht, weil es antik ist. Die Geometrie ist noch älter. Die griechische Philosophie ebenso. Auch sie hat ihre Traditionslast.
    Auch von dieser muß hier die Rede sein, denn Philosophie und Geschichtsforschung haben meine Kinderzweifel am christlichen Glauben großgezogen. Nicht, als hätte ich eine vorhandene antichristliche Philosophie übernommen. Die Infektion geschah subtiler: Philosophen stärkten die in mir aufkeimende Überzeugung, ich
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