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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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neuen Anspruch des Wissens gegen die Tradition durchzusetzen. Die Frommen reagierten mit dem Prozess wegen Gottlosigkeit.
    Auch Xenophanes sprach distanziert von der Volksreligion. Er relativierte: Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien schwarz und stumpfnasig, die Thraker, sie seien blauäugig und rothaarig (B 16). Oder er argumentierte: Wenn Ochsen, Pferde und Löwen Hände hätten und malen könnten, dann würden die Pferde pferdeähnliche, die Ochsen ochsenähnliche und die Löwen löwenähnliche Götter malen (B 15).
    Der Kampf tobte früh. Und mit scharfen Worten. Gerade weil es Gemeinsames gab zwischen Philosophie und Religion. Beide gaben große Themen vor. Sie erzählten, was am Anfang war. Sie nannten Ursprünge und teilten Zeiten ein. Sie gliederten sie nach Epochen: Goldenes Zeitalter, vor dem Fall, nach dem Fall. Dichter, die über die Götter nachdachten, theologêsantes , waren die ersten Philosophierenden. Sie haben Geschichten erzählt, mythoi , und gaben zu denken. Mit solchen Worten berief Aristoteles sich am Anfang seiner Metaphysik auf sie. Sie waren der Anfang, den Philosophen zu achten und zu verlassen hatten. Die Ganzalten gaben Bilder vor, regten an zum Denken über den Kosmos, seinen Ursprung und seine Zukunft, aber das waren für Aristoteles unbeholfene Anfänge.
    Die alten Religionen gaben Völkern eine kulturelle Form, sicherten ihre Lebensart, halfen Zusammenbrüche zu überleben. Kein Wunder, daß sie verteidigt wurden. Oft mit Klauen und Zähnen. Daher hebe ich noch einmal die Gemeinsamkeit mit den Philosophen hervor: zunächst die gemeinsame alte Herkunft. Die griechische Religion war älter als die Philosophie. Beide redeten von umfassenden Themen: sie berührten Ethik und Heilkunst, Magie und Naturerklärung; beide beanspruchten private und politische Lebensleitung. Beide traten oft in Konkurrenz. Im Laufe der Neuzeit mußten sie beide bestimmte Kompetenzen abtreten; sie wurden zu Randgebieten, zu Ressorts für Spezielles. So entstand die geschichtliche Situation, vor der heute Religiöse wie Irreligiöse stehen.
    Es geht mir um die realgeschichtliche und intellektuelle Situation, in der heute Religion und Religionskritik stehen. Mein Thema ist nicht die Religion im allgemeinen, weder ihr Wesen noch ihre Zukunft. Beides weiß ich nicht. Ich zweifle, ob andere beides oder auch nur eins von beiden wissen. Viele reden heute von der Zukunft des Glaubens; ich kenne sie nicht und rede daher nicht davon. Zwar komme auch ich nicht ohne allgemeine Annahmen über Religionen aus. Das war nicht einmal bei meinen ersten Einleitungsworten der Fall, aber sie waren vorläufig, mehr experimentell formuliert. Sie kommen auf den Prüfstand. Und es geht nicht um meine Ausgangsformeln, nicht um den allgemeinen Begriff von Religion, sondern ums Christentum, weil es die einzige Religion ist, die ich umfassend aus den Quellen und als Realität in der heutigen Welt kenne. Ich will wissen, ob ich Gründe habe, sie als wahr anzuerkennen oder nicht. Ich äußere mich zwar zum Konzept von Wahrheit, das dabei mitspielt, aber nicht zum allgemeinen Begriff von Religion.
    Dieser Einschränkung liegt folgende Beobachtung zugrunde: Wer erst einen allgemeinen Begriff der Religion entwickelt und dann übergeht zur Bewertung einer einzelnen, z.B. des Christentums, arbeitet aus zwei oder drei historischen Religionen gemeinsame Merkmale heraus. Er entwickelt sie z.B. anhand ihrer Ethik oder beschreibt ihre Sprache. In der Regel kennt er nur eine oder zwei Religionen gründlich; dann beruhen solche ‹Wesensbeschreibungen› der Religion auf fragwürdig-bruchstückhaften Tatsachenannahmen, oft auf schwachen Sprachkenntnissen. Die so gewonnene Definition von Religion enthält oft verborgen eine begünstigende oder eine distanzierende Religionsbeschreibung; wer sie dann aufs Christentum anwendet, erhält leicht das erwünschte Resultat. Ich traue bei historischen Gegenständen solchen generellen Phänomenbeschreibungen nicht. Sie fingieren Neutralität.
    Was ‹Wahrheit› in meinen Sätzen bedeutet, das kann und muß ich theoretisch begründen; aber was beispielsweise der Islam ist und wie eine vorfabrizierte Religionsdefinition auf ihn paßt, das fordert langes Studium, das selbst Islamwissenschaftlern nicht durchweg gelingt, teils weil sie von ihren westlichen Vorannahmen nicht loskommen, teils weil sie das Selbstverständnis nur einzelner Gruppen für das Islamische halten, teils weil sie die Entstehung des Islam
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