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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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ihre Zuflucht jetzt mehr beim stärkeren Arm des himmlischen Herrn. Diese Glaubensgruppe beruft sich gern auf Pascal und Kierkegaard, sie hält sich für die gegenwartsgeeignetere, die fortgeschrittene Version; sie nimmt ihre Verlegenheit zum Anlaß, sich des großherzigen Verzichts auf Metaphysik und Polizei zu rühmen. Die vierte Christensorte strotzte vor Erkenntniszuversicht in Sachen der philosophischen Theologie und überforderte die Geschichtsforschung, von der sie den Beweis für ‹Glaubenstatsachen› verlangte; sie unterschied Glauben und Glaubwürdigkeit und konstruierte diese rationalistisch als die rationale Vorbereitung des Glaubens. Ganz anders die fünfte Variante. Sie verhält sich skeptisch zur philosophischen Gotteserkenntnis und zur Metaphysik der Seele; sie setzt auf den Glauben als Sprung. Sie deutet ‹Glauben› als persönliche Beziehung, als Vertrauen auf Gott, nicht als gehorsame Zustimmung zu einer Gruppe von Sätzen, die von der Kirche vorgelegt wird. Sie versteht sich als vernunft- und kulturkritisch. Während die Christen der vierten Variante darauf bestanden, daß ihre Botschaften historische Tatsachen mitteilen, nimmt die fünfte Konzeption die Glaubensbotschaften vorwiegend bildlich, gerät aber in die Schwierigkeit, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen dem, was sie bildlich versteht und dem, was faktisch, historisch real sein soll. Und so erzeugt sie in ihren Reihen eine Protestgruppe, die zur buchstäblichen Auslegung, also zu einer ‹Theologie der Tatsachen› zurückwill. Jetzt muß das Grab Jesu wieder leer sein.
    So geht es mit der Frage der Metaphorik oder Allegorie mehrfach hin und her. Man entgeht ihr nicht. Ganz ohne metaphorische Deutung kommt kein Bibelleser aus. Dafür gibt es zwei schöne Beweise:
    Erstens: Jesus nennt in Lukas  13,32 Herodes einen ‹Fuchs›. Muß der Christ nun glauben, der Gottessohn habe in diesem Augenblick den König in einen Fuchs verwandelt? Oder hat er eine Metapher gebraucht und nur gemeint, Herodes sei schlau wie ein Fuchs? Aber wenn Jesus beim Letzten Abendmahl vom Brot sagt: «Das ist mein Leib», dann lehren Thomas von Aquino und Luther, das Brot sei nicht mehr vorhanden oder nur zum Schein da, Jesus habe inzwischen das Brot in seinen Leib verwandelt . Warum beim Fuchs bildlich, beim Brot buchstäblich? Wo und warum gerade dort liegt die Grenze der metaphorischen Auslegung? Der einfache Glaube kann das offenlassen, aber Theologie, die als Wissenschaft auftreten wollte, konnte das nicht und schuf endlose Konflikte. Sie wird weder friedlicher noch klarer, wenn sie sich verbindet mit sozialethischen oder ‹spirituellen› Motiven.
    Das zweite Argument ergeben die sechs Tage, in denen nach dem ersten Buch der Bibel Gott die Welt erschaffen haben soll. Ein gegenwärtiger Religionsverteidiger nennt jeden einen ‹Fundamentalisten›, der die sechs Tage wörtlich nimmt. Aber die Bibel selbst präsentiert sie wörtlich; sie gibt in keiner Weise zu verstehen, daß diese Darstellung dem Wirken Gottes nicht angemessen ist. Aber schon in der Antike haben Juden und Christen den philosophischen Gottesbegriff dagegen geltend gemacht und die sechs Tage ‹symbolisch› genommen. Ihr Gott war zeitlos; sein Wirken zählte nicht nach Tagen. In diesem Fall wurde die Bibel so früh allegorisiert, daß der buchstäbliche Sechs-Tage-Glaube heute als Kennzeichen des ‹biblischen Fundamentalismus› durchgeht.
    Ich bin in keiner der charakterisierten Bedeutungen Christ. Am wenigsten harmoniere ich mit Mischungen dieser Versionen, die im deutschsprachigen Raum – außer in strengnormierten Zirkeln – das Normale geworden zu sein scheint.
    Ich nehme also das Christentum nicht als Einheit, sondern differenziere. Vielleicht veranlasse ich den einen oder anderen christlichen Leser zu der Frage, zu welcher dieser Varianten er tendiert. Er könnte damit seinen Ideenhaushalt schon ein wenig aufräumen. Indem ich sage, ich teile keine dieser fünf Versionen, behaupte ich nicht, sie seien Unsinn. Ich nenne keine von ihnen ‹Unsinn›, ich mache nur von keiner dieser Hypothesen Gebrauch. Meine Position ist konsequent agnostisch, nicht atheistisch. Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, daß kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht.
    Daher bin ich auch nicht verpflichtet, an die Stelle des christlichen Glaubens etwas Besseres zu setzen. Wenn ich sage, daß ich kein Christ bin, werde ich oft gefragt, ob ich etwa Buddhist geworden sei.
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