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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Autoren: Pamela Druckerman
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Außerdem lerne ich langsam, seine Mikro-Mimik zu interpretieren. Ein Lächeln, das kurz über sein Gesicht huscht, bedeutet, dass er meinen Witz verstanden hat. Ein breites, wenn auch seltenes Lächeln bedeutet großes Lob. Manchmal sagt er sogar monoton: »Das war lustig.«
    Ermutigend finde ich auch, dass Simon für einen Griesgram ziemlich viele nette, langjährige Freunde hat. Vielleicht, weil er hinter seiner ironischen Maske rührend hilflos ist. Er kann nicht Auto fahren, keinen Luftballon aufblasen und auch keine Kleidung zusammenfalten, ohne seine Zähne zu Hilfe zu nehmen. Er füllt unseren Kühlschrank mit unangebrochenen Konservendosen. Weil es so praktisch ist, gart er alles auf höchster Flamme. (Später erzählen mir College-Freunde, dass er für Hähnchenschlegel bekannt ist, die außen verkohlt und innen roh sind.) Als ich ihm zeige, wie man aus Öl und Essig ein Salatdressing macht, notiert er sich das Rezept und holt es Jahre später immer noch hervor, wenn er das Abendessen zubereitet.
    Für Simon spricht auch, dass ihn nichts, was mit Frankreich zu tun hat, zu stören scheint. Als Ausländer ist er ganz in seinem Element. Seine Eltern sind Anthropologen, die ihn überall auf der Welt großgezogen und von Geburt an daran gewöhnt haben, die jeweiligen nationalen Gepflogenheiten zu lieben. Mit zehn hatte er bereits in sechs verschiedenen Ländern gelebt. Er erwirbt Sprachen, wie ich Schuhe erwerbe.
    Simon zuliebe beschließe ich, Frankreich eine echte Chance zu geben. Wir heiraten vor den Toren von Paris in einem Château aus dem 13. Jahrhundert. Es ist von einem Burggraben umgeben (eine Symbolik, die ich ignoriere). Um des lieben Ehefriedens willen mieten wir uns eine größere Wohnung. Ich bestelle Regale bei Ikea und versuche, mich auf meine praktischen Fähigkeiten statt auf meine Neurosen zu konzentrieren. Ich lerne, in Restaurants Gerichte direkt von der Speisekarte zu bestellen, und knabbere hin und wieder an etwas foie gras . Mein Französisch hört sich nicht mehr nach hervorragendem Spanisch, sondern nach furchtbarem Französisch an. Es dauert nicht lange, und ich habe mich mehr oder weniger eingelebt: Ich arbeite von zu Hause aus, habe einen Buchvertrag, ja sogar ein paar neue Freunde.
    Simon und ich haben das Kinderthema angesprochen. Wir wollen beide Kinder, ich für meinen Teil sogar drei. Mir gefällt die Vorstellung, sie in Paris zu bekommen, wo sie automatisch zweisprachig aufwachsen. Ich habe Angst, nicht schwanger werden zu können. Beinahe mein ganzes Erwachsenenleben lang habe ich höchst erfolgreich versucht, nicht schwanger zu werden. Ob ich im Gegenteil ebenso gut bin, weiß ich nicht. Doch wie sich herausstellt, geht bei uns alles genauso schnell wie unser Kennenlernen. Kaum habe ich »Wie wird man schwanger?« gegoogelt, starre ich auch schon auf zwei rosa Linien auf einem französischen Schwangerschaftstest.
    Ich bin begeistert. Aber nicht nur Glücksgefühle, sondern auch Ängste überrollen mich. Mein Entschluss, mich weniger an Carrie Bradshaw, dafür mehr an Catherine Deneuve zu orientieren, lässt sich nicht durchhalten. Das ist kein guter Zeitpunkt, mich in eine waschechte Französin zu verwandeln. Ich bin von der Vorstellung besessen, meine Schwangerschaft kontrollieren und alles perfekt machen zu müssen. Wenige Stunden nachdem ich Simon die freudige Nachricht überbracht habe, gehe ich ins Internet, um mir alle möglichen Schwangerschaftsseiten anzusehen. Ich sause los und kaufe mir in der englischen Buchhandlung beim Louvre einen Stapel Ratgeber zu Schwangerschaft und Geburt. Ich möchte in meiner eigenen Sprache lesen, worauf ich mich gefasst machen muss.
    Wenige Tage später schlucke ich vorsorglich Vitaminpillen, bin süchtig nach allen Infos über mögliche Gefahren und Risiken während der Schwangerschaft und bin Dauergast in zahllosen Eltern-Blogs. Ist es in der Schwangerschaft unbedenklich, etwas anderes als Biolebensmittel zu essen? Ist es vertretbar, ständig am Computer zu sitzen? Ist es ungefährlich, Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen, sich mit Halloween-Süßigkeiten vollzustopfen oder Urlaub hoch über dem Meeresspiegel zu machen?
    Die Amerikanerinnen aus meinem Bekanntenkreis finden auch, dass eine Schwangerschaft – und die anschließende Mutterschaft – mit zahlreichen Hausaufgaben verbunden ist. Die erste Aufgabe besteht darin, sich zwischen unzähligen Erziehungsstilen zu entscheiden. Jede, mit der ich spreche, schwört auf einen anderen
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