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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Autoren: Pamela Druckerman
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fördern, aber nicht ständig. Während manche amerikanischen oder deutschen Kleinkinder schon vor der Einschulung Lesen und Mandarin lernen, tun französische Kinder, was Kleinkinder eigentlich tun sollten: ungestört miteinander spielen.
    Und es sind viele Kinder, die in Frankreich so erzogen werden: Während die Nachbarländer unter einem Bevölkerungsrückgang leiden, erleben die Franzosen einen regelrechten Babyboom. In der EU haben nur die Iren eine höhere Geburtenrate. 5
    Die Franzosen bekommen viel Unterstützung vom Staat, was es attraktiver und leichter macht, Kinder zu haben. Eltern zahlen nichts für die Vorschule, sie müssen sich keine Sorgen wegen der Krankenversicherung machen und auch nicht für die Uni sparen.
    Aber das allein ist keine Erklärung. Die Franzosen scheinen einen ganz anderen cadre für Kindererziehung zu haben, einen ganz anderen Bezugsrahmen. Wenn ich französische Eltern frage, wie sie es schaffen, ihre Kinder zu disziplinieren, brauchen sie eine Weile, bis sie verstehen, was ich damit meine: »Ah, Sie meinen, wie wir sie erziehen?«, fragen sie dann. »Disziplin«, so merke ich bald, ist ein viel zu eng gefasster, in Frankreich selten gebrauchter Begriff, der eher nach Bestrafung klingt. »Erziehung« dagegen ist etwas, um das sie sich ihrer Meinung nach ohnehin ständig kümmern.
    Seit Jahren macht der Niedergang unserer Kindererziehung Negativschlagzeilen. Es gibt Dutzende von Ratgebern mit hilfreichen Theorien. Ich dagegen kann keine Theorie anbieten. Was ich hier in Frankreich vor mir sehe, ist eine funktionierende Nation von kleinen Durchschläfern und Gourmets und von völlig entspannten Eltern. Davon ausgehend forsche ich nach, wie die Franzosen das geschafft haben. Wie sich bald herausstellt, braucht man dafür nicht nur eine andere Erziehungsphilosophie, sondern muss auch die Kinder mit anderen Augen sehen.
    1 In einer Umfrage aus dem Jahr 2002 stimmten 90 Prozent der Franzosen folgender Aussage zu: »Mitzuerleben, wie die eigenen Kinder groß werden, und ihnen beim Aufwachsen zuzusehen ist das Schönste überhaupt.« In den Vereinigten Staaten waren es 85,5 Prozent, in Großbritannien 81,1 Prozent und in Deutschland 90,2.
    2 Joseph Epstein, » The Kindergarchy: Every Child a Dauphin«, Weekly Standard vom 9. Juni 2008.
    3 Judith Warner beschreibt dieses Phänomen in Perfect Madness: Motherhood in the Age of Anxiety , Riverhead Books, New York 2005.
    4 Alan B. Krueger, Daniel Kahneman, Claude Fischler, David Schkade, Norbert Schwarz und Arthur A. Stone, » Time Use and Subjective Well-Being in France and the US « , Social Indicators Research 93 (2009): S. 7–18.
    5 Laut den Zahlen der OECD aus dem Jahr 2009 beträgt die Geburtenrate in Frankreich 1,99, in Belgien 1,83, in Italien 1,41, in Spanien 1,4 und in Deutschland 1,36 pro Frau.

»Erwarten Sie ein Kind?«
    Es ist zehn Uhr morgens, als mich der Verlagsleiter in sein Büro ruft und mir sagt, ich solle besser meine Zähne noch mal grundreinigen lassen. Meine von der Firma getragene Zahnzusatzversicherung ende nämlich mit dem letzten Arbeitstag, und der wäre in fünf Wochen.
    An diesem Tag verlieren mehr als zweihundert Kollegen mit mir ihren Job. Die Nachricht lässt den Aktienkurs unserer Muttergesellschaft kurzfristig emporschnellen. Ich besitze ein paar Firmenanteile und überlege, sie zu verkaufen – eher aus Zynismus als aus Profitgier, um sozusagen an meiner eigenen Entlassung zu verdienen.
    Doch stattdessen laufe ich wie betäubt durch Manhattan. Passenderweise regnet es. Ich stelle mich unter und rufe den Mann an, mit dem ich abends verabredet bin.
    »Ich wurde soeben gefeuert«, sage ich.
    »Bist du nicht am Boden zerstört?«, fragt er. »Willst du trotzdem mit mir essen gehen?«
    In Wahrheit bin ich sogar erleichtert: Endlich bin ich den Job los, den ich nach fast sechs Jahren bloß nicht gewagt habe zu kündigen. Ich war Auslandsreporterin bei einer New Yorker Zeitung und habe über Wahlen und Finanzkrisen in Lateinamerika berichtet. Oft wurde ich ohne Vorankündigung ins Ausland geschickt und musste dann wochenlang aus dem Koffer leben. Eine Zeitlang erwarteten meine Chefs große Dinge von mir. Sie sprachen über zukünftige Leitungsfunktionen und bezahlten mir sogar einen Portugiesisch-Kurs.
    Bis sie plötzlich gar nichts mehr von mir erwarten. Und seltsamerweise macht mir das nicht das Geringste aus. Ich habe Filme über Auslandskorrespondenten immer gemocht, aber es ist etwas vollkommen anderes,
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