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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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Denn wir haben nur ein einziges Leben, das sich nun einmal in einem zeitlich sehr begrenzten Ereignishorizont vollzieht. Doch erinnern wir uns: In der Kindheit waren uns Dinge unendlich wichtig, die wir heute für Lappalien halten. Pusteblumen zum Beispiel. Auch in unserem eigenen Leben verschieben sich die Zusammenhänge andauernd. Wir verändern unser Selbst- und Umgebungsbild und passen uns in jedem Augenblick einer zuvor niemals da gewesenen Situation an.
    Analog verhält es sich mit der Welt im Ganzen. Diese gibt es ebenso wenig wie einen Zusammenhang, der alle Zusammenhänge umfasst. Es gibt einfach keine Regel oder Weltformel, die alles beschreibt. Dies liegt nicht daran, dass wir sie bisher noch nicht gefunden haben, sondern daran, dass sie gar nicht existieren kann.
Weniger als nichts
    Hier kommen wir zurück auf die Unterscheidung von Metaphysik, Konstruktivismus und Neuem Realismus. Die Metaphysiker behaupten, es gebe eine allumfassende Regel und die mutigeren unter ihnen behaupten auch, sie endlich gefunden zu haben. So folgt im Abendland schon seit beinahe dreitausend Jahren ein Weltformelfinder dem nächsten: von Thales von Milet bis hin zu Karl Marx oder Stephen Hawking.
    Der Konstruktivismus hingegen behauptet, dass wir die Regel nicht erkennen können. Dabei befänden wir uns in Machtkämpfen oder kommunikativen Handlungen und versuchen in seinen Augen, uns darüber zu einigen, welche Illusion wir gerade gelten lassen wollen.
    Der Neue Realismus versucht dagegen konsequent und ernsthaft die Frage zu beantworten, ob es eine solche Regel überhaupt geben könnte. Die Beantwortung dieser Frage ist dabei selbst nicht nur eine weitere Konstruktion. Stattdessen beansprucht sie – wie jede Antwort auf jede noch so alltägliche ernst gemeinte Frage – festzustellen, was der Fall ist. Es wäre merkwürdig, wenn Ihnen jemand auf die Frage, ob sich noch Butter im Kühlschrank befindet, antwortete: »Ja, wobei die Butter und der Kühlschrank eigentlich nur eine Illusion, eine menschliche Konstruktion sind. In Wahrheit gibt es weder Butter noch einen Kühlschrank. Zumindest wissen wir nicht, ob es sie gibt. Trotzdem guten Appetit!«
    Um zu verstehen, warum es die Welt nicht gibt, muss man zunächst verstehen, was es überhaupt bedeutet, dass es etwas gibt. Es gibt nur dann überhaupt etwas, wenn es in der Welt vorkommt. Wo sollte es etwas geben, wenn nicht in der Welt, wenn wir darunter eben das Ganze verstehen, den Bereich, in dem alles stattfindet, was überhaupt stattfindet. Nun kommt die Welt selbst nicht in der Welt vor. Ich habe sie zumindest noch niemals gesehen, gefühlt oder geschmeckt. Und selbst wenn wir über die Welt nachdenken, ist die Welt, über die wir nachdenken, natürlich nicht identisch mit der Welt, in der wir nachdenken. Denn während ich etwa gerade über die Welt nachdenke, ist dies ein sehr kleines Ereignis in der Welt, mein kleiner Weltgedanke. Neben diesem gibt es noch unzählige andere Gegenstände und Ereignisse: Regenschauer, Zahnschmerzen und das Bundeskanzleramt.
    Wenn wir also über die Welt nachdenken, ist dasjenige, was wir erfassen, etwas anderes als das, was wir erfassen wollten. Wir können niemals das Ganze erfassen. Es ist prinzipiell zu groß für jeden Gedanken. Dies ist aber kein bloßer Makel unserer Erkenntnisfähigkeit und hängt auch nicht unmittelbar damit zusammen, dass die Welt unendlich ist (das Unendliche können wir ja zumindest teilweise umfassen, etwa in der Form der Infinitesimalrechnung oder der Mengenlehre). Die Welt kann vielmehr prinzipiell nicht existieren, weil sie nicht in der Welt vorkommt.
    Einerseits behaupte ich also, dass weniger existiert, als man erwartet hätte, denn die Welt existiert nicht. Es gibt sie nicht und kann sie nicht geben. Daraus werde ich wichtige Konsequenzen ziehen, die unter anderem gegen das wissenschaftliche Weltbild in seiner heute medial und gesellschaftspolitisch verbreiteten Version sprechen. Genau genommen werde ich gegen jedes Weltbild argumentieren. Denn man kann sich kein Bild von der Welt machen, weil sie nicht existiert.
    Andererseits behaupte ich aber auch, dass erheblich mehr existiert, als man erwartet hätte, nämlich alles andere als die Welt. Ich behaupte, dass es Polizeiuniform tragende Einhörner auf der Rückseite des Mondes gibt. Denn dieser Gedanke existiert in der Welt und mit ihm die Polizeiuniform tragenden Einhörner. Im Universum dagegen kommen sie meines Wissens nicht vor. Die genannten
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