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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles
Autoren: Reinhard Brandt
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von Mensch und Tier kann nicht im Selbstbewußtsein liegen.
Epikurs Tod
    Epikur lehrte: »Der Tod geht uns nichts an. Was aufgelöst ist, nimmt nicht wahr; was nicht wahrnimmt, geht uns nichts an.« Lapidar und unwiderleglich: Es gibt den Tod nicht. Epikur konnte jedoch weder im Mittelalter noch in der Renaissance oder im Barock die Menschen überzeugen; der Tod blieb der König des Schreckens, er herrschte nicht nur im Schattenreich der Toten, sondern bestimmte auch das Denken und Tun der noch Lebenden. Am Sterbebett versammelte sich die Familie, der Hof; der Abschied erregte eine tiefe Seelenbewegung der Angst vor dem Übergang in das dunkle Jenseits, erhellt durch die Hoffnung auf den Erlöser. Die Moderne hat Epikur wiederentdeckt: Der Tod ist nichts, weder mein eigener (»Den Tod statuiere ich nicht!«) noch der Tod anderer Personen. Dem Sterbenden selbst entzieht sich sein Tod durch passende Medikamente. Die Moderne isoliert den einzelnen auf seiner Ich-Insel; man wechselt im Leben Orte und Partner und vergleichgültigt damit die Lebensbeziehungen, so daß auch der ferne Tod des andern den einzelnen kaum noch erreicht. Epikur hatte recht mit seinem unwiderlegbaren Irrtum. Durch ein ungeschriebenes, aber ehernes Gesetz untersagt die Gesellschaft, auf den Tod aufmerksam zu machen, es sei denn durch eine schriftliche Anzeige.
Abwechselung
    Der Fernlastfahrer in Brasilien winkte unmittelbar vor der Hügelkuppe dem hinter ihm fahrenden Personenwagen zu – frei zum Überholen. Der Zusammenprall geschah genau neben dem Fernfahrer; im Rückspiegel sah er die beiden Wagen noch einige Zeit in Flammen. So war die Einöde der Zeit für wenige Minuten unterbrochen, aber lange Stunden lagen noch vor ihm.
Und der Zweck des Ganzen?
    Nach Billionen und Abermillionen Jahren unterbrach einer der versammelten Götter und Dämonen das Schweigen und sagte, er habe sich ein Universum ausgedacht mit Zeit und Raum und Galaxien und Sonnen und Planeten, Pflanzen, Tieren und Menschen, einem Petersdom hier und der Börse in New York. Als die übrigen Dämonen und Götter sich die Einzelheiten anhörten, rieten sie ab: Zu viel Chaos; die Erde, mit deren Planung sich der Demiurg besonders befaßt hatte, sollte zwar mit einer festen Kruste, aber mit Vulkanen und Erdbeben und Überflutungen und Dürre, übermäßiger Hitze und eisiger Kälte und Orkanen gebaut werden. »Stümperhaft!« war ihr Urteil, wenn auch einige die geplante Schönheit in den Wetterwolken und den Kunstwerken der Menschen und die vielen geplanten Wirkungen des Zufalls bestaunten. Der Demiurg entfernte sich und schuf sein Universum in einem kleinen Nebenraum des Alls, das aus vier unterschiedlich dimensionierten Räumen bestand. Die übrigen Götter und Dämonen betrachteten das fertige Werk voller Skepsis, eines jedoch bestaunten sie alle: Daß es auf der Erde ein Wesen gab, das denken und fühlen und handeln konnte und das der Demiurg nicht aus Silikon und feinstem Metall und aufgelöteten Elektrozellen gebaut hatte, sondern aus einer lockeren Tiermasse mit viel Wasser, weichem Gewebe und in kuriosen rundlichen symmetrischen Formen.Durch die Schaffung dieses geistigen Kleintieres stieg das Ansehen des Demiurgen unter den Göttern, zumal er ihnen nicht verraten wollte, wie er den Wicht zum Denken gebracht hatte. Dies wollte er nicht verraten; eine andere Frage konnte er ihnen vermutlich nicht beantworten: Wozu er das Universum geschaffen hatte, welchen Sinn dieses Ungetüm hatte. »Was soll das?« hatten sie ihm zugerufen. »Ist das alles für den Leichtsinn und Tiefsinn und Unsinn und Schwachsinn deines Denkkobolds gemacht? Werden sie dich erkennen? Werden sie dir danken? Was werden sie tun?« Weil er auf diese Fragen nicht antwortete, wandten sie sich ab von ihm und verliefen sich in Äonen des Schweigens.
Was ist der Mensch?
    Eine grotesk schwierige Frage, denn niemand kann die viel einfacheren Fragen beantworten, was das Wesen eines Staubkornes ist, eines Grashalms, einer Stubenfliege oder einer Verstrahlung. Die Anfangsfrage also, was der Mensch eigentlich ist, können wir vergessen. Mit einigem Erfolg scheint der Homo sapiens sapiens jedoch allmählich in einem Punkt einige Sicherheit erlangt zu haben, rein negativ: Der Mensch ist keine Sache. Man kann ihn folglich nicht foltern, von oben zerbomben und von unten mit Landminen in die Luft sprengen, belügen
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