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Warte, bis du schlaefst

Warte, bis du schlaefst

Titel: Warte, bis du schlaefst
Autoren: Mary Higgins Clark
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hervorragend zu dieser Umgebung passten. »Ihre Suite befindet sich im dritten Stock, mit einem wunderschönen Blick über unsere Gärten.« Sie stand auf und geleitete mich zum Aufzug, einem kunstvoll ausgestatteten Objekt mit einem Führer und einer samtbezogenen Sitzbank.
    Meine Begleitung murmelte: »Zur Suite von Mrs. Olivia, bitte, Mason.« Ich erinnerte mich gehört zu haben, dass in manchen teuren psychiatrischen Einrichtungen die Nachnamen nicht mitgeteilt wurden. Mir soll es recht sein, dachte ich. Die übrigen Gäste müssen nicht unbedingt wissen, dass Mrs. Charles MacKenzie sen. in ihrer Mitte weilt.
    Im dritten Stock stiegen wir aus und gingen einen Flur hinunter. An dessen Ende klopfte meine Begleitung an eine Tür und öffnete sie. »Mrs. Olivia«, rief sie, ihre Stimme leicht erhoben, aber immer noch vornehm moduliert.
    Hinter ihr betrat ich einen exquisiten Salon. Ich hatte
einmal Fotos von Suiten im Plaza Athénée in Paris gesehen, und mir war, als würde ich eine von ihnen betreten. Dann erschien Mom in der Tür zum Schlafzimmer. Die Empfangsdame verschwand ohne ein weiteres Wort, und Mom und ich standen uns gegenüber.
    Als ich sie anblickte, durchlebte ich noch einmal wie im Zeitraffer alle widerstreitenden Gefühle der letzten Woche, seit Mom in Elliotts Wohnung Zuflucht gesucht hatte. Schuld. Wut. Bitterkeit. Und dann war alles wie weggeblasen, und ich fühlte nur noch eines: Liebe. Ihre wunderschönen Augen betrachteten mich voll Kummer. In ihrem Blick lag Unsicherheit, als wisse sie nicht genau, was sie von mir erwarten solle.
    Ich ging auf sie zu und schlang die Arme um sie. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Es tut mir so furchtbar leid. Und wenn ich mir auch noch so oft sage: ›Hättest du nur nicht nach Mack gesucht‹, es nützt nichts. Ich kann dir nur versichern, dass ich alles dafür geben würde, wenn ich das ungeschehen machen könnte.«
    Ihre Hände fuhren sanft durch meine Haare, genau wie damals, als ich ein kleines Kind war und wegen irgendeiner Sache Kummer hatte. Liebe und Trost ging von ihnen aus, und da wusste ich, dass sie mit dieser Situation ihren Frieden geschlossen hatte.
    »Wir werden das durchstehen, Carolyn«, sagte sie. »Was auch immer dabei herauskommen mag. Wenn Mack wirklich all das getan haben soll, was man ihm vorwirft, dann ist jedenfalls eines sicher: Er muss den Verstand verloren haben.«
    »Was hat man dir denn erzählt?«, fragte ich.
    »Ich denke, alles. Gestern habe ich Dr. Adams, meinem Psychiater, gesagt, dass ich nicht mehr geschützt werden
will. Ich kann mich jederzeit abmelden und nach Hause gehen, aber ich möchte lieber alles, was vielleicht noch kommt, erfahren, solange ich hier bin und mit ihm darüber reden kann.«
    Da war sie wieder, die Mutter, die ich schon glaubte, verloren zu haben, diejenige, die Dad in jeder Hinsicht unterstützt hatte, als Mack verschwunden war, diejenige, deren erster Gedanke mir galt, als sie erfuhr, dass Dad in der Katastrophe vom 11. September umgekommen war. Ich war damals im dritten Jahr an der Columbia University, war zufällig über Nacht bei meinen Eltern geblieben und schlief noch, als das erste Flugzeug aufprallte. Mom hatte es ganz allein mit angesehen. Dads Büro befand sich im 102. Stock des Nordturms, des ersten, der getroffen wurde. Sie hatte ihn anzurufen versucht und ihn auch tatsächlich erreicht. »Liv, das Feuer ist unterhalb von uns«, hatte er gesagt. »Ich glaube nicht, dass wir es schaffen, hier noch rauszukommen.«
    Die Verbindung wurde unterbrochen, und Minuten später sah sie, wie der Turm einstürzte. Sie ließ mich schlafen, bis ich eine Dreiviertelstunde später von selbst aufwachte. Als ich die Augen öffnete, saß sie in meinem Zimmer, mit tränenüberströmtem Gesicht. Dann wiegte sie mich in ihren Armen, während sie mir berichtete, was geschehen war.
    So war meine Mutter gewesen, bis die jährlich wiederkehrenden Anrufe an Muttertag sie nach und nach zermürbt hatten.
    »Mom, wenn du dich hier wohlfühlst, dann solltest du noch etwas länger bleiben«, sagte ich. »So wie es jetzt in Sutton Place aussieht, würdest du dort nicht sein wollen, und wenn die Medien erfahren, dass du wieder in Elliotts Wohnung bist, würden sie dir dort auch auflauern.«

    »Ja, das ist mir klar, aber Carolyn, was ist mit dir? Gibt es nicht irgendeinen Ort, an dem du vor ihnen sicher sein kannst?«
    Du kannst weglaufen, aber du kannst dich nicht verstecken, dachte ich. »Mom, ich glaube, ich werde in
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