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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Alle aufgeklappt oder aus den ledernen oder verzierten Scheiden herausgezogen. Taschenmesser, Klappmesser, Brotmesser, Fleischmesser, Messer mit gekrümmten, geraden oder geriffelten Schneiden. Mehrere machetenartige Buschmesser und sogar drei in einem asiatisch geschnitzten Gestell drapierte Samurai-Schwerter. Nachdem wir einen Moment lang auf die silberscharf geschliffenen Klingen gesehen hatten, hakte sich mein Vater plötzlich fester bei mir ein und zog mich nah an sich. Ich sah zu ihm hinüber. Er hatte die Augen geschlossen. »Komm weiter, schnell«, bat er mich in einem mir unbekannt flehentlichen Tonfall, »mir wird schlecht von den Dingern!«
    Vorsichtig gingen wir weiter. Was war das denn, dachte ich, wie kann einem beim Anblick von Messern übel werden? Schweigsam schlenderten wir dahin. Noch nie war ich untergehakt eine so lange Strecke mit ihm gegangen. Wir fanden einen zwar langsamen, aber stabilen Rhythmus. In unserer Küche hatte es nie auch nur ein einziges wirklich scharfes Messer gegeben. Im Grunde wurde bei uns zu Hause jahrelang nichts geschnitten, immer nur alles zerquetscht. Brotscheiben musste man vom Brotlaib hinunterpressen und Wurstscheiben von der Wurst abdrücken. Jedes Lineal wäre schärfer gewesen als unsere Messer. Tomaten wurden durch die stumpf-schartigen Messer zermatscht, und Gurken sahen so aus, als hätte sie jemand mit der Faust geteilt. Niemals ging eine geschliffene Klinge bei uns wie durch Butter, nie hatte eine Paprika saubere Schnittflächen, ein Käse eine glatte Kante. Alles zerrissen und ausgefranst. Was war der Grund? Die eventuell zu Unbedachtsamkeiten führende, unberechenbare Labilität meiner Mutter? Die seltsame, gerade eben zum ersten Mal deutlich zutage getretene Hypersensibilität meines Vaters gegenüber blitzenden Klingen? Mein ungezügelter Jähzorn? War das Fehlen geschliffener Messer angebrachte Prävention oder doch nur, wie ich immer geglaubt hatte, Unachtsamkeit, eine bedeutungslose Vernachlässigung?
    In einem großen Bogen liefen wir zurück zum Auto. Mein Vater hatte sich überanstrengt, ruhte sich, an die Kühlerhaube gelehnt, aus und ließ sich dann mit meiner Hilfe, schmerzlich Luft einziehend, in den Autositz nieder. »Ich wäre so gerne noch zum Friedhof gefahren, aber es wird mir zu viel. Tut mir leid!« »Können wir doch auch morgen noch machen«, schlug ich vor.
    Auf der kurzen Heimfahrt saß er neben mir und zerkaute eine ganze Packung Menthos. Eine Pastille nach der anderen schob er sich hinein, schmatzte hektisch und schluckte sie hinunter.
    Am Abend oder eher noch am späten Nachmittag gingen wir in die Balkanstuben zum Essen. Dieses Restaurant war ein auf Stelen ins Wasser gebauter Pavillon. Wir bekamen einen guten Platz, saßen direkt am Fenster und hatten einen herrlichen Ausblick über die Schlei und auf die Möweninsel. Eine sehr üppige Kellnerin kam und legte uns die Speisekarten auf die fleckige Tischdecke. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, hochgeschlossen, das oben herum sehr eng anlag und dann unterhalb der eingeschnürten Hüfte in festen Falten bis hinab auf den Boden reichte. Mein Vater sah ihr nach, schob kurz seine Schneidezähne über die Unterlippe und klappte die Karte auf.
    »Was nimmst du?«, fragte ich ihn. »Ich hab Hunger. Ich glaube, ich wage mich an die Grillplatte!« »Echt?«, staunte ich, »na dann mal los.« Die sogenannte Grillplatte war eine echte Herausforderung und schon früher für meine Brüder und mich der ultimative Fleischexzess gewesen. Mein mittlerer Bruder hatte sie »Vegetarier-Suizid« getauft. Auf einem ungewöhnlich großen Teller stapelten sich so viele von verschiedenen Tieren stammende Grillspezialitäten, dass der Reis oder die Bratkartoffeln darunter nicht mehr zu sehen waren. Es war ein nicht sehr einfallsreiches Ritual geworden, bei jedem Biss in eines der Fleischteile den betreffenden Tierlaut von sich zu geben. Wir machten Muh, Mäh und Kikeriki, kauten drauflos und fanden es alle irre witzig, wenn mein Vater Miau oder Wuff wuff machte.
    Die Kellnerin kam zurück, und mein Vater sagte mit weicher Stimme: »Also, ich nehme einmal die Grillplatte und …« – er sah sie herausfordernd an – »ein Bier!«
    Mein Vater konnte das gut. Bisschen gespielt, bisschen ernst – sonor und sehr charmant. Sie staunte: »Die Grillplatte? Gerne.« Ihr Kleid beeindruckte mich, und ich war mir nicht ganz sicher, ob ihre Brüste für die erstaunlichen Wölbungen verantwortlich waren oder ob das Kleid
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