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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde
Autoren: Maike Maja Nowak
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Dorf anschauen.«
    »Aber allein kannst du nicht loslaufen, du findest dich nicht zurecht«, wendet Vera ein.
    »Kein Problem«, entgegne ich. Mein Abenteuergeist ist erwacht.
    Ich ziehe mir die Schuhe aus und laufe barfuß die Sandwege entlang. Es ist wie in Kindertagen, nur schöner, weil ich selbst entscheiden darf, was ich tun will. Die alten Bäuerinnen, die ich treffe, tragen Kopftücher und blicken mich verwundert an, wenn ich sie grüße. Mitunter rufen sie mir etwas zu, was ich nicht verstehe. Ich hebe dann entschuldigend meine Schultern und lächle. Es kann ein angenehmes Gefühl sein, nichts zu verstehen und einen plausiblen Grund dafür zu haben. Wenn man nichts versteht, kann man auch nicht zur Verantwortung für etwas gezogen werden.
    Ich spiele das Spiel, das ich immer spiele, wenn ich auf Tournee bin: Welches Haus ist mein Haus? Da ich keine Vorstellung davon habe, wie ein Haus aussehen müsste, um meines zu sein, nehme ich dafür andere Häuser als Anregung. Nicht immer handelt es sich bei meinen Favoriten um die schönsten Exemplare, aber sie alle haben etwas, was sie für mich zu etwas Besonderem macht.
    Hier in Lipowka gewinnt ein Haus an einer Weggabelung. Es liegt ungefähr fünfzig Meter vom Hauptweg nach hinten versetzt, so steht es allein und ist doch mit den anderen verbunden. An ihm ist nichts Außergewöhnliches, außer einem bestimmten Gefühl, das es in mir auslöst. Es gibt schönere Häuser mit frischerem Anstrich und von besserer Bauweise, dieses jedoch übt eine Anziehungskraft auf mich aus, die ich nicht erklären kann.
    Zurück bei Vera höre ich mich sagen: »Hat hier gerade jemand ein Haus zu verkaufen?«
    Vera blickt mich überrascht an. »Gefällt dir mein Dorf?«, fragt sie strahlend.
    Ich nicke.
    Zwei Stunden später kommt Vera mit dem Nachbarn herein.
    »Er hat ein Haus zu verkaufen, das heißt, eigentlich seine Schwester aus Rjasan. Ihre Mutter ist vor Kurzem verstorben, und jetzt steht das Haus leer.«
    Ich laufe den beiden hinterher und versuche mich darauf zu konzentrieren, dass ich gestern noch nicht einmal hierher, geschweige denn hier leben wollte. Was mache ich nur?, frage ich mich immer wieder.
    Bis zu dem Augenblick, in dem der Bauer vor dem Haus stehen bleibt, das ich zuvor ausgewählt hatte. Das muss Schicksal sein, denke ich.

    Mein Haus in Lipowka
    Es dauert vierzehn Tage, bis das Haus gekauft ist, meine Sachen in Moskau gepackt sind und mein Leben in Lipowka beginnt.
    1 Aus dem Russischen von Waldemar Dege, zitiert nach Marina Zwetajewa: Ausgewählte Werke. Bd.1: Lyrik. Hrsg. Edel Mirowa-Florin. Verlag Volk und Welt, Berlin 1989, S. 47.

Frühling
    Wanja
    Es ist ein seltsames Gefühl, mit einem Ruderboot durch den Wald zu fahren. Im Frühjahr, wenn die Flüsse durch den Schneetau überströmen, ist die Überflutung so groß, dass ein Durchkommen bis zu dem Dörfchen Lipowka nur mit dem Boot gelingt.
    Ein zahnloser Bauer vom Festland, dem Nachbardorf Demuschkina, stellt mir seine Fahrkünste samt Kahn für Dollar und Wodka zur Verfügung. Er watet mit hohen Stiefeln zum schaukelnden Boot, und sein Begleiter, ein rotblonder Recke, der einem russischen Heldenepos entsprungen scheint, hebt mich ohne Ansprache in die Höhe, um mir nasse Füße zu ersparen. Ich liege in den Armen des Hünen und komme mir federleicht vor. Ich betrachte seinen prächtigen Schnauzbart über mir und fühle mich sehr beschützt.
    Die Sonne scheint, und eine insgesamt lichthelle Stimmung liegt über diesem Frühlingstag.
    Nach der Bootsfahrt über die Felder verzaubert mich der einmalige Anblick des überfluteten Waldes. Es geht nur noch langsam voran. Ich genieße es, in einem Boot durch den Wald geschifft zu werden. Das glaubt mir niemand!, denke ich. Doch dieser Gedanke kam mir in Lipowka bereits so oft, dass er eher ein zuverlässiger Begleiter geworden ist als eine Ausnahme. Der Recke läuft oft außerhalb des Bootes und prüft mit einem Stock die Tiefe des Wassers. Er ist unser Waldlotse. In seiner brusthohen Gummikleidung wirkt er zwischen den Bäumen wie ein verwunschenes reptilartiges Wesen.
    Ich bin versunken in die Eindrücke dieser wundersamen Reise, als unweit von uns plötzlich ein Plätschern zu hören ist. Ich sehe einen großen Hundekopf mit Schlappohren über dem Wasser schwimmen.
    »Was ist denn das für ein Hund? Wo kommt der denn her?«, frage ich erstaunt.
    »Ähh!«, ruft der Zahnlose mit einer wegwerfenden Kopfbewegung. »Das ist so ein Köter aus dem
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