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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde
Autoren: Maike Maja Nowak
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Wald.«
    »Aber er wird erfrieren im Eiswasser. Er weiß doch nicht, wann das nächste Ufer kommt. Wenn er noch weiterschwimmt, kommt er nicht mehr zurück.«
    »Ähh! Das schadet dem gar nichts. Wer weiß, was er vorhat. Der kennt sich aus.«
    Die Bootsfahrt, die Märchenhaftes zu versprechen schien, verwandelt sich für mich in einen Albtraum.
    Angespannt und mit den schlimmsten Befürchtungen beobachte ich fortan den schwimmenden Hund und suche nach einer Rettungsmöglichkeit, falls das Tier unterzugehen droht. Immerhin haben wir noch viele Kilometer vor uns, und ich bin mir nicht sicher, ob auch der Hund das weiß.

    Wanja im Eiswasser
    Ein morscher, abgeknickter Ast hängt über uns von einem Baum und ich ziehe ihn im Vorbeifahren ins Boot. Der Recke sieht mich fragend an. Ich deponiere den langen Stock kommentarlos neben mir und schaue einfach geradeaus. Erklärungen wären hier ganz zwecklos. Tiere dienen den Bauern zum Überleben. Für eine artübergreifende Anteilnahme ist im täglichen Überlebenskampf dieser menschlichen Selbstversorger kein Platz. Ich lebe an einem Ort, an dem niemand Tiere aus emotionalen Gründen hält wie in den Städten. Alles hat seinen Platz.
    Der Hund schwimmt unverdrossen in zwanzig Meter Entfernung neben uns, und auch nach einer Stunde zeigt er keine Zeichen von Müdigkeit. Er schwimmt ruhig und ohne Blickkontakt. Vor lauter Angst um das Tier bin ich trotz der Kälte völlig durchgeschwitzt und atme erst auf, als das Ufer nahe Lipowka in Sichtweite kommt.
    Der Hund springt an Land einen kleinen Steilhang hinauf und schüttelt sich. Mein Mund bleibt offen stehen, so sprachlos bin ich über den Anblick dieses wunderbaren Tieres. Der Hund ist sehr groß, schneeweiß, mit schwarzen und rotbraunen Flecken. Er steht sehr aufrecht und wirkt zugleich fast träge in seiner Haltung. Er scheint alles im Blick zu haben, ohne jedoch selbst jemanden anzusehen.
    Nichts an ihm deutet auf den Wunsch nach Nähe hin, und so unterdrücke ich mein eigenes Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn zu berühren.
    »So ein toller Hund«, entfährt es mir.
    Er wendet kurz den Kopf und schaut mich eine hundertstel Sekunde lang an. Dann streckt er sich und legt sich in die Sonne. Ruhig liegt er da, seine Augen sind dabei fast geschlossen.
    Eine sonderbare Begegnung, denke ich.
    Mein Ziel vor Augen bezahle ich die Männer mit der Wodka-Währung, die sie sogleich verwenden, um sich für die Rückfahrt zu stärken, und gehe die verbleibenden vier Kilometer zu Fuß in das Dorf Lipowka, um Bauer Kolja mit dem Pferdewagen zu holen. Nach einem Monat Musiktournee habe ich bei der Rückkehr in mein Haus schweres Gepäck. Es sind Kerzen und Konserven dabei, Sachen für die Babuschkas und vieles mehr für die nächsten Monate, in denen Lipowka vom Rest der Welt abgeschnitten bleiben wird.
    Als ich mit Kolja und dem Pferdewagen wieder an den Fluss komme, liegen beide Bootsmänner betrunken am Hang und schnarchen. Ich lade mein Gepäck auf und schaue mich noch einmal nach dem fremden Hund um. Er ist verschwunden.
    Abends koche ich in meiner Küche ein Süppchen und blicke über die riesige Wiese vor meinem Haus zum Horizont. Mehr, als dass ich es sehe, spüre ich, dass irgendetwas nicht in das gewohnte Bild gehört. Als mein Blick sich für die Gegenwart schärft, erkenne ich im Abendlicht die Silhouette des fremden Hundes, der wie eine Statue auf dem Weg liegt.
    Er scheint zu schlafen. Seine Augen sind geschlossen.
    Ich bin völlig überrascht davon, dass dieses fremde Wesen mir gefolgt ist.
    Gern würde ich zu ihm hinausgehen, doch mein Verantwortungsgefühl hindert mich daran. Ich verbringe viel Zeit in diesem Haus, bin aber auch viel unterwegs – zu den Konzerten, die ich als Liedermacherin gebe. Einen Hund zu halten ist da unmöglich. Wie könnte ich ihn jedes Mal zurücklassen?
    Mit Wehmut muss ich an den Hund aus Portugal denken.
    Es war gleich nach der Wende, und ich reiste mit einer Freundin aus Westberlin als Rucksacktouristin die Algarve entlang. Während einer Rast in einem kleinen Fischerdorf näherte sich uns ein großer Hund. Er blieb drei Meter von uns entfernt stehen und schaute mich an. Meine Freundin Anna, die mein Interesse an ihm bemerkte, rief:
    »Nicht, lass ihn. Wir werden ihn sonst nicht mehr los!«
    Ich blickte sie damals verwundert an, denn ich hatte nichts dagegen, von einem Hund begleitet zu werden. Im Gegenteil: Es würde mir guttun. Ich hätte gern selbst einen Hund gehabt, konnte aber durch
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