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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag
Autoren: Annett Groeschner
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ewiges »Grüß Gott« abgewöhnt. »Die Berlin-Initiative war keine schlechte Erfindung«, sagt Gottfried mit einem Rechtfertigungston in der Stimme, den ich hasse.
    Bartuschewski und Gottfried stehen inzwischen auf zwei verschiedenen Kontinenten, denn Bartuschewski hat sich nach New York aufgemacht, da war er eigentlich noch nie und will auch nicht hin: »Flippige Typen gibt’s in Berlin genug, da brauch ich nur auf Arbeit sein«, sagt er immer zu seiner Verwandtschaft, wenn die Familie seiner Frau von New York zu schwärmen anfängt. Er ist mehr so ein Texastyp, aber bisher hat das Geld nur für Europa gereicht, und einmal für Marokko, da haben ihm die Polizeiuniformen gut gefallen. Seine kneift, und der Polyesterstoff ist im Sommer furchtbar. Von der Kackfarbe ganz zu schweigen.
    Die beiden sind keine wirklich guten Gegner, sie lassen sich zu schnell aus der Reserve locken. Ein bisschen mehr Mühe müssen sie sich schon geben, wenn ich sie nicht aus Langeweile in meinem Sack verschwinden lassen soll.
    Nebenan steht das Berolinahaus leer, das sieht man sofort, ein Haus, das nicht mehr belebt ist, strahlt keine Wärme ab, das ist wie bei Toten. Wie wär’s mit einem Glücksspiel? Gottfried und Bartuschewski würden auf der Stelle ihr Leben verwetten, dass ich nicht im Berolinahaus gearbeitet habe.
    Gottfried kann sich nicht mehr erinnern, dass ich ihn und seine zweite Frau 1980 dort getraut habe, ein paar Wochen, nachdem ich ihn von meinem Bürofenster im Zimmer Nummer 429 aus beobachtet hatte, als er unter Kuwait stand, mit drei lächerlichen rosa Nelken in der Hand, dann aber vor Aufregung nach
Addis Abeba wechselte und weiter nach Mauritius, wo er aussah, als müsse er pissen, bis eine kleine Frau in Uniform ihn ansprach, die schon eine Weile unter Accra herumgestanden hatte.
    Wider Erwarten hatten sie sich bei der Trauung kein Arbeiterkampflied, sondern den Hochzeitsmarsch gewünscht. »Und so erkläre ich Sie, Herrn Gerd Gottfried, und Sie, Monika Morsbecher, zu Mann und Frau. Mögen Sie Ihres Glückes Schmied sein.« Was habe ich damals nur für Blödsinn geredet, Glückes Schmied, als wär’ Glück ein heißes Eisen, auf das man mit einem Hammer draufschlagen muss, um was Praktisches draus zu machen. Damals war ich das erste Mal in Ungnade gefallen, und man hatte mir das Standesamt Mitte zur Bewährung gegeben. Gottfried ist nach den Feierlichkeiten mit seiner Frischangetrauten in einer weißen Kutsche über den Alex gefahren, ein Pferd lahmte.
    » Warum grinste ’n so doof, Ali?«, fragt Bartuschewski, der jetzt wieder in Mitteleuropa angekommen ist, und boxt mir völlig unauffällig, aber so effektiv, dass mir die Luft kurz wegbleibt, in die Rippen. »Der hält uns für blöde, siehst du das?«, fragt er Gottfried. »Wenn er klug ist, weiß er, dass wir am längeren Hebel sitzen.« Ich japse und schweige. Bartuschewski will eigentlich nur spielen, er ist nicht ganz so unbedarft wie Gottfried. Er weiß, dass ich mit seinen Gedanken vertraut bin. Das ist Intuition, die bildet sich auch bei den dümmsten Polizeibeamten nach zwanzig Jahren aus. Und dann geht es doch wieder mit mir durch, als ob es mir wichtig wäre, ihnen ihre Blödheit zu beweisen.
    »Ich verschwinde, wenn Sie mir sagen können, welche Straßenbahnlinien 1929 über den Platz fuhren. Oberwachtmeister Gottfried, die Nummern!« Gottfried schaut mich beinah hasserfüllt an, der weiß nämlich noch nicht einmal mehr, wie eine Straßenbahn von innen aussieht, er hat einen Opel Vectra, hätte aber lieber einen Audi oder einen Golf GTI, ach nein, von dem Traum hat er sich neulich verabschiedet, seine Frau mag keine tiefergelegten Autos. Der weiß nur, dass eine Straßenbahn über den Platz fährt, weil es immer mal Karambolagen zwischen Straßenbahnen und transusigen Touristen oder besoffenen Passanten gibt.

    »Zugriff?«, fragt Gottfried, aber Bartuschewski antwortet nicht, sieht mir nur in die Augen. Er hat einen fetten Mitesser am linken Nasenflügel und, wenn ich das bei dem schlechten Licht richtig erkenne, eine Bartflechte.
    »1929 fuhren die 3, 6, 29, 41, 43, 44, 49, 53, 60, 61, 62, 65, 66, 68, 168, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 174, 76 über den Platz«, beantworte ich die Frage lieber selber, »damals war das hier noch eine Weltstadt, meine Herren, und die Polizisten hatten Pickelhauben!« – »Ja, Ali, und heute ist der Alexanderplatz eine Bühne für Leute, die sonst keine mehr haben. Mann, bin ich froh, wenn das hier mal ein bisschen
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