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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag
Autoren: Annett Groeschner
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kriminellen Schwerpunkt Berlins zeichne ich Sie mit dem Aktivistentitel aus. Rühren!« Das mögen sie gar nicht.
    Ich kenne Gottfried und Bartuschewski schon lange, viel länger als sie glauben, mich zu kennen, ich weiß alles über sie. Aber ich darf es ihnen nicht allzu deutlich zeigen, will ich heute nicht am Stadtrand ausgesetzt werden. Es soll noch regnen diese Nacht, und ich hasse nichts mehr, als wenn meine Sachen nass werden.
    Gottfried ist ja kürzlich strafrückversetzt worden. Er war erst seit vier Monaten am Breitscheidplatz, als er einen Ausländer als »Schweinekanaken« bezeichnet hat. Das fand der Ausländer gar nicht lustig, und er konnte, anders als von Gottfried angenommen, sogar einen Rechtsanwalt bezahlen. Ich hätte dem guten Gerd Gottfried gleich sagen können, dass die Gegend um den Kurfürstendamm nicht der Alexanderplatz ist. Jetzt wird Gottfried nur sehr langsam wieder größer, im Moment geht er Bartuschewski gerade mal bis zum Hals, obwohl er zehn Zentimeter länger ist. Die Zeitungsartikel über den rassistischsten Polizisten Berlins hat er ganz unten in die Schrankwandschublade gelegt, unter die Liebesbriefe seiner ersten Frau, die mit einem Kriminellen durchbrannte, den Gottfried höchstpersönlich festgenommen hatte und der nach seiner Haft in Brandenburg vorbeikam, um sich zu rächen, aber nur Gottfrieds Frau antraf, die sich, unglaublich, aber wahr, sofort in ihn verliebte.
    Eigentlich glauben Gottfried und Bartuschewski, sie hätten nach zwanzig Jahren Streifendienst endlich einen Bürojob verdient, mit der Rechtschreibung ist es ja auch kein Problem mehr, wenn man beim Schreibprogramm nicht aus Versehen Italienisch einstellt.

    »Personalausweis, Alex, kannste schon mal bereithalten.« Die Anlage, über die hinweg mich Gottfried anschreit, scheppert blechern.
    Einen Personalausweis habe ich schon lange nicht mehr, warum auch, nur damit ich ihn Gottfried und Bartuschewski zeigen kann? Die wissen das natürlich, aber es ist eines ihrer liebsten Spiele, um im Nachtdienst nicht einzuschlafen. Obwohl Gottfried seit ein paar Monaten an Schlafstörungen leidet, die Bartuschewski einmal »senile Bettflucht« genannt hat, woraufhin sie in der nächsten Schicht nicht mehr als nötig miteinander gesprochen haben. Gottfried schob dann nach sechs Stunden Schweigen Bartuschewski einen Strafzettel über fünfhundert Euro wegen Beleidigung rüber, und dann haben sie sich noch am selben Abend wieder versöhnt.
    Und Bartuschewski? Der sucht nach Gott, eigentlich sucht er eine Religion, die es ihm erlaubt, mit sofortiger Absolution härter durchzugreifen, stante pede von Gott persönlich erteilt. Gott sollte lieber Hirn für beide regnen lassen, sie müssten dazu nur kurz aus ihrem Auto raus, aber sicher wären sie zu langsam und das Hirn längst unten, bevor sie sich aus dem Wagen gequält hätten. Hirn auf dem Alexanderplatz wäre aber eklig, und ich würde vielleicht auf dem Weg nach Montevideo ausrutschen und mir ein Bein brechen. Und das ohne Krankenversicherung.
    Bartuschewski schlägt gern zu. Er bekommt dabei immer einen kleinen Orgasmus, vor allem, wenn er Männer schlägt, die kräftiger sind als er. Er hat zu viel gesehen, die ganzen traurigen Gestalten hier, es ist ja auch ein furchtbarer Platz, aber der Sternenhimmel in der Nacht und die Sonne im Sommer entschädigen dann wieder, da bekommt ein Typ wie ich schnell Farbe, manchmal schreien mir die Leute hinterher, ob Obdachlose jetzt auch nach Mallorca dürften. Sie sprechen Mallorca aus wie mallekrank. Nein, von Murmansk nach Mallorca komme ich nicht in einem Schritt, auch wenn ich schon überall war und überallhin komme.
    Höhe Ostgrönland, Ortszeit 20.56 Uhr, steht Bartuschewski vor mir. Er hat es also doch geschafft, aus dem Auto zu steigen. »Immer das Gleiche mit dir, Ali. Hast Platzverweis, schon vergessen?
« – »Manchmal ist das Gleiche auch dasselbe«, antworte ich, in der Hoffnung, wir könnten uns auf eine höfliche Kommunikation verständigen, »im Übrigen ist mein Name Alexander. Alex lass ich mir gerade noch gefallen.« – »Lass die Spitzfindigkeiten, hast wohl wieder gesoffen?« Dass Bartuschewski auch immer glauben muss, einen mit Du anreden zu dürfen, nur weil man keine vier Wände um sich herum hat. Als würden einem die Wände erst Respekt verschaffen, als könne man nicht ohne enge Begrenzung aufrecht gehen. »Sie kommen nicht über meine Schwelle. Das ist Hausfriedensbruch. Freiheit für Ostgrönland!«,
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