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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Autoren: Tom Holt
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zusammenhängenden Geschichte meiner Zeit ziemlich erschwert. Wenn ich Ihnen also überhaupt einen Rat geben kann, den ich mühsam fein gemahlen habe wie Mehl zwischen den sich drehenden Mühlsteinen der verstreichenden Jahre, dann lautet der: gleich etwas essen zu gehen und die Stadtbesichtigung auf später zu verschieben. Mit anderen Worten: Seien Sie nicht das, was ich immer gewesen bin – nämlich nur ein Beobachter, da Sie sonst wie ich bei Phaidras Tod feststellen müssen, daß Sie Ihr ganzes Leben lang in die falsche Richtung geblickt haben. Das war das einzige, was ich in meinem Leben bedauert habe und in dem ich keine Komik finden konnte. Über alles andere habe ich auf die ein oder andere Art gelacht.
    Bevor ich ihn vergesse, noch einen letzten Witz. Nach Kriegsende wurde der berühmte Sokrates zusammen mit vielen besseren Menschen hingerichtet. Er wurde unter eindeutig falscher Anklage vor Gericht gebracht, da sein eigentliches Verbrechen darin bestand, Alkibiades lange Zeit im Halten raffinierter Reden unterrichtet zu haben; und bei seiner Verhandlung erinnerte er sich an mich und versuchte, eine komische Verteidigungsrede zu halten, so wie ich es einst getan hatte. Doch diesmal ging es nicht gut aus, und zu seiner großen Überraschung wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ich weiß noch, wie ich ihn im Gefängnis besuchte, während er auf seine Hinrichtung wartete, und der arme Narr immer noch glaubte, begnadigt zu werden, bis zum allerletzten Moment, als sie ihm den Schierlingsbecher reichten. Nach seinem Tod ist er groß in Mode gekommen, und die Leute haben sich darangemacht, diese ellenlangen einseitigen Gespräche niederzuschreiben, die Sokrates mit allen Menschen zu führen pflegte, die sich nicht rechtzeitig verdrücken konnten. Die Bevölkerung Athens ist nämlich hinsichtlich des Kriegs und seiner berühmten Zeitgenossen von einer eigenartigen Nostalgie erfaßt worden. Kaum war Euripides in Makedonien gestorben, wohin er vor Kleophons Männern geflohen war, als man auch schon mit der Wiederaufführung seiner Tragödien im Theater anfing. Von meinen Werken brachte man natürlich keins erneut auf die Bühne, aber ich bin ja auch noch am Leben.
    Mein Sohn ist für mich im großen und ganzen eine maßlose Enttäuschung gewesen, denn er hat damit begonnen, epische Dichtungen zu schreiben, und das wird zu nichts Gutem führen. Andererseits hat er ein nettes Mädchen geheiratet, mit dem er zwei Söhne hat, und wenn ich sterbe, erbt er einen großen und gut gepflegten Besitz, um den er sich vermutlich sogar kümmern wird. Die Anlagen zum guten Bauern hat er, auch wenn er von den Musen nicht gerade geküßt worden ist. Den Witz hat er weder von mir noch von seiner Mutter geerbt, was wahrscheinlich ein Segen ist. Dafür sieht er jedoch wie Phaidra aus und hat ein wenig von meinem Geschick im Umgang mit Worten mitbekommen. Als er klein war, wollte er Soldat werden. Aus Angst, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen, achtete ich darauf, ihn sehr gut kennenzulernen, doch alles in allem habe ich damit nur meine Zeit vergeudet. Männer wie ihn habe ich zu Hunderten gekannt, und sie haben mich nie sonderlich interessiert.
    Und Athen steht mehr oder weniger immer noch und wird wahrscheinlich auch in tausend Jahren noch existieren; aber heutzutage ist es eine unbedeutende Stadt, nicht viel mehr als der Marktflecken für den gebirgigen und unfruchtbaren griechischen Landstrich namens Attika. Die wichtigste Stadt auf der Welt ist mittlerweile wahrscheinlich Theben, woher die meisten Aale und fast sämtliche Hohlköpfe stammen; und wenn das keine Ironie des Schicksals ist, dann weiß ich es auch nicht. Ein guter Witz ist das auf jeden Fall, und dies ist der geeignete Zeitpunkt, um zu sterben.
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