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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Autoren: Tom Holt
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Das war offensichtlich kein Zufall; die Oligarchen mußten etwa eine Woche vorher geahnt haben, daß sie die Macht nicht ohne Unterstützung von außen würden halten können, und hatten die Spartaner vermutlich um Hilfe gebeten. Kaum hatte die Nachricht von dem spartanischen Angriff die Stadt erreicht, bemannten die bewaffneten Helfer der Oligarchen die Mauern und ließen unsere Flotte auslaufen, woraufhin sich die Spartaner zurückzogen und wir ihnen nachsetzten. Wie es der Zufall so wollte, wurde unsere Flotte vor Euböa übel in die Mangel genommen, aber das waren Auslandsnachrichten und scherte anscheinend niemanden. Man interessierte sich viel mehr für die Lage zu Hause, die sich jetzt ausgesprochen aufregend gestaltete. Denn nachdem sich die Spartaner entfernt hatten, hielt man auf der Pnyx nach guter alter Sitte (und somit gesetzwidrigerweise) eine Volksversammlung ab, setzte die vierhundert Oligarchen formell ab und verurteilte den gerissenen Rechtsgelehrten Antiphon zum Tode. Und das war’s dann anscheinend auch. Somit wäre alles wieder beim alten, und wir möchten uns für möglicherweise entstandene Unannehmlichkeiten entschuldigen.
    Falsch. Die Volksversammlung stimmte nicht für die Wiederherstellung der Demokratie; sie stimmte für Alkibiades. In gewisser Hinsicht war das ein weiser Schritt, weil Alkibiades unser Heer auf Samos in der Hand hatte und niemand, nicht einmal der Hingebungsvollste unter allen Erfahrungssuchenden, einen wirklich ausgewachsenen Bürgerkrieg erleben wollte, in dem Alkibiades die Stadt erstürmt und sich selbst zum König Alkibiades dem Ersten gesalbt hätte. Folglich stimmte die Volksversammlung für seine sofortige Rückkehr nach Athen und – ob Sie es glauben oder nicht – die Einführung der Herrschaft der fünftausend anständigen und aufrichtigen Bürger, was der Forderung von Alkibiades entsprach, als er sich zum Heer auf Samos begeben hatte.
    Alkibiades war verständlicherweise leicht verwirrt und blieb mit seinem Heer und seiner Flotte (zu diesem Zeitpunkt gehörten sie eindeutig ihm, nicht uns) vorsichtshalber im Ausland, während wir uns offenbar in dem ernsten Glauben, Seine Herrlichkeit wünsche die Herrschaft der Anständigen und Aufrichtigen, daranmachten, dies zu ermöglichen. Wir ernannten tatsächlich fünftausend Bürger (am Ende kamen wir auf etwa sechstausendfünfhundert, aber so ist Athen nun mal) und warteten geduldig auf Anweisungen. Und erst das – und nicht der große und geheimnisvolle Staatsstreich – war das Ende der Demokratie in Athen. Damals gaben die Menschen in erster Linie dem verhaßten Theramenes die Schuld – der sich mit einer Geschwindigkeit und Gewandtheit aus seiner Verwicklung in den Staatsstreich herauswand, die ihm allgemeine Bewunderung einbrachte, und sich selbst zu Alkibiades’ Stellvertreter auf Erden ernannte –, doch glaube ich nicht, daß seine Rolle bei den Ereignissen von besonderer Bedeutung war. Meiner ehrlichen Überzeugung nach war den Athenern unterbewußt klar, daß sie die Demokratie nicht mehr wollten. Da sie aber nicht wußten, wonach sie sich statt dessen sehnen sollten, erhoben sie Alkibiades zum Gott und überließen die Lösung aller Schwierigkeiten ihm. Alkibiades reagierte darauf freundlicherweise in wahrhaft gottgleicher Manier, indem er sich auf die Anrufung hin den Athenern nicht zeigte und auch ihre Gebete nicht erhörte, woraufhin alle zumindest vorerst glücklich und zufrieden waren. Man wandte die Aufmerksamkeit von der Politik ab, interessierte sich allmählich wieder für den Krieg und stellte fest, daß er uns vollkommen aus der Hand geglitten war und wir kurz davor standen, ihn zu verlieren.
    So endete die größte und vollkommenste Demokratie, die die Welt je gekannt hat, das Ideal, dem nachzueifern sich noch ungeborene Generationen vergeblich bemühen werden. Eigentlich war das noch nicht alles; die Demokratie wurde nämlich vor Kriegsende unter dem schrecklichsten Aderlaß, den Athen je erlebt hat, für kurze Zeit wiederhergestellt, bis die Spartaner sie endgültig beseitigten, als sie schließlich die Stadt übernahmen. Doch das Ungeheuer, das Kleophon und seine Mördergesellen damals schufen, sah dem Wesen der alten Demokratie eigentlich in nichts ähnlich; es hatte mit dem komplizierten, ursprünglich von Solon in die Welt gesetzten Organismus genausoviel zu tun wie meine Parodien mit den Tragödien von Euripides. Und an das, was danach geschah, möchte ich lieber gar nicht erst
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