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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Autoren: Tom Holt
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denken, weil mir allein schon von der Vorstellung schlecht wird. Hier endet meine Erzählung.
    Deshalb werde ich jetzt nur noch ein paar Lücken schließen, und dann machen wir Schluß. Zum Beispiel die Frage, ob es Philonides und mir jemals gelungen ist, Aristophanes umzubringen, weil er unseren Hauptdarsteller betrunken gemacht hatte, oder ob es sich dabei auch wieder nur um ein leeres Versprechen handelte. Nun, nachdem wir nach der Siegesfeier unseren Kater ausgeschlafen und die Gewalt über die Glieder wiedererlangt hatten, mußten wir feststellen, daß sich unser Groll gegen den Sohn des Philippos einigermaßen gelegt hatte. Schließlich war mir nicht nur der Preis für die beste Komödie verliehen worden, sondern Philonides auch noch der für den besten Darsteller (zwar hatte es darum etwas Ärger gegeben, weil Philonides nicht offiziell angemeldet worden war, doch konnten diese Unstimmigkeiten bereinigt werden, so daß man ihm den Preis zu guter Letzt doch noch bewilligte), und dieses Glück hatten wir, wenn auch auf Umwegen, letztendlich Aristophanes zu verdanken. Deshalb erließen wir ihm fürs erste die Schläge und kamen zu dem weisen Entschluß, uns bei Gelegenheit eine subtilere Strafe für ihn auszudenken. Aber dazu sind wir dann einfach nicht gekommen, und vermutlich ist die ganze Geschichte deshalb irgendwann eingeschlafen, so wie eine alte Hypothek erlischt, wenn man nicht rechtzeitig seine Forderungen einklagt. Später, während der ganzen Unannehmlichkeiten des darauffolgenden Jahres, als mit jeder Äußerung von Widerstand gegen die neue Obrigkeit unmittelbare Gefahr für Leib und Leben verbunden war, vollbrachte Aristophanes ein paar wirklich große und mutige Taten, so daß wir ihm beinahe alles andere vergaben.
    Kurz nach dem eigentlichen Staatsstreich, als das Klima in Athen höchst unerfreulich wurde und mehrere freimütige Menschen auf offener Straße ermordet worden waren, sprach man allen Ernstes davon, die Aufführungen der Komödien ausfallen zu lassen, weil politische Stellungnahmen unerwünscht waren. Doch Aristophanes marschierte geradewegs in das Büro des Archons (den gab es immer noch, obwohl er mit einem richtigen Archon etwa so viel gemein hatte wie ich mit Zeus) und verlangte, sowohl für die Lenäen als auch für die Großen Dionysien einen Chor bewilligt zu bekommen. Da er in oligarchischen Kreisen immer noch ein gewisses Maß an Ansehen genoß und es ärgerlich gewesen wäre, eine solch relativ bekannte Persönlichkeit umbringen zu lassen, stimmte der Archon zu, und allein aus diesem Grund konnten die Lenäen und die Dionysien überhaupt stattfinden. Auch die Komödien, die Aristophanes in jenem Jahr schrieb, waren fraglos geschickt gemacht, obwohl ich nicht behaupten möchte, daß sie gut waren.
    Wie er völlig richtig erkannt hatte, war jede Form von ungeschminkter Kritik unmöglich, und deshalb konzentrierte er sich allein auf diesen Sachverhalt und rückte mit einer recht treffenden Antwort darauf heraus. Damals erzählte man sich überall in Athen den Witz, das oligarchische Experiment sei so übertrieben, daß, falls es fehlschlagen sollte, die einzige logische Weiterentwicklung sei, die Herrschaft über den Staat den Frauen zu übergeben, da das nur ein klein wenig exzentrischer sei als die Herrschaft des Antiphon. Aristophanes griff diesen Scherz auf und benutzte ihn als Grundstein für seine beiden Komödien, die er jedoch notdürftig tarnte; die eine als Literaturkritik, die andere als allgemeinen Friedensappell. Doch in beiden Komödien übernehmen die Frauen einen Teil der Staatsaufgaben, und ihre Verhaltensweisen ähnelten auffallend der Art, wie sich die Oligarchen aufführten. In dem einen Stück erobern die Frauen sogar die Akropolis, wie es der berühmte Kylon einige hundert Jahre zuvor getan hatte, als er eine Tyrannei zu errichten versuchte. Zudem enthalten die beiden Komödien alle möglichen Arten versteckter Anspielungen – auf willkürlich von der Polizei verhaftete Bürger; auf geheime Verschwörungen und Verhandlungen mit dem Feind, um den Krieg um jeden Preis zu beenden; auf marionettenhafte Beamte und auf den vorhergehenden Staatsstreich der sogenannten Weißfüße, die Leipsydrion einnahmen. Unter den herrschenden Umständen war das zwar recht unverblümt, aber die Oligarchen wollten oder konnten nichts dagegen unternehmen. Sie taten so, als nähmen sie die beiden Stücke für bare Münze, und ließen Aristophanes seinen kurzen Augenblick des
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