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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Autoren: Tom Holt
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sich, glaube ich, in die Berge auf und verbrachte dort etwa einen Monat, wobei er so tat, als wäre er ein Schäfer auf dem Parnes. Ich hätte mir gewünscht, Aristophanes als Schäfer zu sehen. Das hätte mich für alle Schwierigkeiten entschädigt, in die er mich gebracht hatte.
    Als ich in die Stadt zurückkehrte, stellte ich fest, daß Phaidras Fieber viel schlimmer geworden war, und da wußte ich, daß sie sterben würde. Doch ließ sie sich damit lange Zeit, und ich glaube, das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens. Plötzlich wurde mir klar, daß ich mir Phaidra hatte entgehen lassen wie eine einmalige Gelegenheit. Sie wissen, wie das ist: Da gibt es etwas, das man immer tun will, beispielsweise sich etwas zu essen einpacken, in die Berge rings um Phyle steigen und sich dort die wild wachsenden Blumen ansehen, aber man schiebt es ständig hinaus, und wenn man endlich in die Berge kommt, ist bereits alles verwelkt und vertrocknet, und man verzehrt schweigend das mitgebrachte Essen und macht sich traurig auf den Heimweg. Ich hatte nie die Zeit gefunden, meine Frau richtig kennenzulernen, und als ich gezwungen war, damit anzufangen, war es zu spät. Die halbe Zeit befand sie sich im Delirium und sagte viele Dinge, die sie, wie ich hoffe, nicht meinte; und wenn sie wieder bei klarem Bewußtsein war, äußerte sie das genaue Gegenteil und versicherte mir immer wieder, daß ich unter den gegebenen Umständen ein guter Ehemann gewesen sei und sie ein besseres Leben gehabt habe, als sie mit allem Recht habe erwarten dürfen. Nach einer Zeitlang konnte ich es nicht mehr ertragen, und tief im Innern wollte ich, daß sie starb, um dem Elend ein Ende zu machen. Doch die Vorstellung, daß sie am nächsten oder vielleicht übernächsten Tag nicht mehr da wäre, war für mich unerträglich, und ich traktierte sie unaufhörlich mit Ärzten und Wundermitteln, obwohl sie doch nichts anderes wollte, als in Ruhe gelassen zu werden. Schließlich bat sie mich, sie nicht mehr zu quälen, und daraufhin gab ich auf und versuchte, mich mit der Lage abzufinden. Dennoch blieb ich Tag und Nacht bei ihr, weil wir beide Angst hatten, daß sie, wenn ich kurz aus dem Haus ginge, bei meiner Rückkehr tot sein könnte. Aber selbst so ließ ich sie im Stich. Phaidra hatte gerade einen furchtbaren Fieberanfall überstanden und schien friedlich zu schlafen, und ich war so müde, daß ich auf dem Stuhl neben ihr einnickte – mehr als zehn Minuten kann mein Schlummer nicht gedauert haben, doch beim Aufwachen wußte ich sofort, daß sie gestorben war. Eine Zeitlang ließ ich die Augen geschlossen, und als ich sie aufschlug, dachte ich, sie schlafe nur, und ich hätte mir alles eingebildet. Aber Phaidra war wirklich tot, und kaum hatte ich mich davon vergewissert, fing ich wie eine dieser schrecklichen alten Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt in der Stadt als hauptberufliche Klageweiber verdienen, zu schluchzen und zu wehklagen an, bis mir einer der Sklaven einen Becher Wein mit einem Schuß Mohnaufguß reichte – den gleichen Trank, den Aristophanes’ Männer meinem Hauptdarsteller Philocharmos gegeben hatten. Danach, so erzählte man mir später, schnappte ich für etwa einen Tag völlig über – dieser Stümper hatte zuviel Mohnaufguß in den Wein geschüttet und hätte mich beinahe auch umgebracht –, aber ich erinnere mich an nichts. Ich entsinne mich nur noch, mit grauenhaften Kopfschmerzen und der Gewißheit aufgewacht zu sein, daß Phaidra tot war.
    Ich beerdigte sie in Pallene neben dem Grab meines Vaters, wo ich einst selbst begraben sein werde, und ließ vom besten Steinmetz in ganz Athen eine von diesen verzierten Grabstelen mit einem Vers darauf aufstellen. Als Dichter hätte ich natürlich eine richtig schöne Grabinschrift verfassen sollen, und zunächst dachte ich auch, das sei mir gelungen. Doch als ich sie auf dem Stein sah, kam sie mir einfach albern vor. Also ließ ich sie wieder herausmeißeln und durch eine einfache Inschrift ersetzen, aus der lediglich Phaidras Name, der ihres Vaters und ihr Demos hervorging. Mit zunehmendem Alter vermisse ich sie immer mehr, und bedenkt man, daß ich, will ich mir selbst gegenüber ehrlich sein, zugeben muß, sie gar nicht so gut gekannt zu haben, dann ist das schon seltsam. Aber vielleicht ist das gerade die Erklärung dafür, wer weiß? Ich glaube, zuweilen vergesse ich, wie sie wirklich war, und bringe sie mit den legendären Heldinnen wie Penelope oder Laodameia durcheinander,
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