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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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der Großteil der männlichen Bevölkerung Athens werde gebraucht, als Soldaten zu Land oder Wasser. Und man könne von diesen Helden nicht erwarten, daß sie für den üblichen Sold in den Kampf zögen und siegten; man werde ihnen eine ganze Drachme pro Tag geben müssen, zumindest so lange, bis die Sizilianer anfingen, ihren Beitrag zu bezahlen. Dann wären da der Proviant und die Kriegsausrüstung zu berücksichtigen; soundso viele hunderttausend Pfeile und Wurfspeere und Schleuderbolzen, soundso viele Paare Sandalen und Umhänge (dick, Heeresausführung) und Umhänge (leicht, Heeresausführung) und Helmbüsche und Speerhüllen und Dollenpolster und Krüge mit Sardinen (frisch) und Krüge mit Sardinen (getrocknet); das alles zum Marktpreis oder, wegen der Dringlichkeit, weit darüber, 412
    weshalb es Vermögenssteuern geben müsse, um das benötigte Geld aufzutreiben. Wie er kurz zusammenfaßte, müsse Athen die größte Land- und Seestreitmacht ausrüsten, die jemals außerhalb Persiens zusammengezogen worden sei, und somit bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen.
    Er schloß seine Rede in der sicheren Erwartung allgemeinen Schweigens, das höchstens hin und wieder durch unzufriedenes Murren unterbrochen wurde. Was er als Reaktion erhielt, war brüllender Beifall und eine fast einhellige Bekundung des Wohlwollens. An seinen Gesichtsausdruck erinnere ich mich noch, als wäre es erst gestern gewesen – er blickte so dumm drein, als wäre er am Abend eines kühlen Sommertags vom Blitz getroffen worden. Womit er nicht gerechnet hatte, war der beinahe unnatürliche Herdentrieb von uns Athenern; wenn etwas Aufregendes passiert, wollen wir nicht ausgeschlossen werden, und die Menschen waren wochenlang von der Sorge gequält worden, man könnte sie womöglich vergessen. Jetzt hatte Nikias behauptet, daß für jeden Platz sei. Also durften alle nach Sizilien fahren!
    Außer mir. Wie ich später herausfand, handelte es bei demjenigen, der die Einberufungslisten aufstellte, um einen unwichtigen kleinen Mann, den ich in einer meiner Komödien beiläufig erwähnt hatte. Trotzdem hatte ihn das derart aufgebracht – ich nehme an, er war nicht daran gewöhnt, irgendwo Erwähnung zu finden –, daß er sich aus reiner Bosheit entschloß, mich nicht in die Liste aufzunehmen.
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    Ich erinnere mich, wie wütend ich war, als die Liste verlesen wurde, und wie ich anschließend zornig nach Hause stampfte und den ganzen Weg über einen Stein vor mir her schoß. Ich war gemein zu Phaidra, weigerte mich, irgend etwas zu essen, und ging ins Bett, obwohl es noch hell war.
    Stundenlang lag ich nur da, unfähig einzuschlafen, und sann über die Ungerechtigkeit des Lebens nach. Fast der einzige Mensch, den ich kannte und der außer mir nicht loszog, war Aristophanes, Sohn des Philippos; der allerdings aus dem einzigen Grund nicht in den Krieg zog, weil er ein Feigling war und jemanden vom Musterungsausschuß bestochen hatte. Ich glaubte nun, die Leute dachten, ich hätte das gleiche getan. Nur wenige Tage zuvor hatte ich den kleinen Zeus besucht, der gerade besorgt über seinen Grundbesitz spaziert war, weil er sehen wollte, ob er es schaffen könnte, seinem Land noch den einen oder anderen Kelch Getreide abringen zu können, um in die Klasse der schwerbewaffneten Fußsoldaten aufzusteigen und ebenfalls nach Sizilien fahren zu können.
    Falls man ihn nämlich nach Sizilien schicken würde, so meinte er, könne er wahrscheinlich durch Sold und Plünderung genügend zusammenbekommen, um mir das zurückzuzahlen, was er mir noch schulde. Wie ich ihn kannte, hatte er sein Ziel mittlerweile erreicht und durfte nun wohl mit nach Sizilien ziehen. Die ganze Welt würde dort sein, bis auf mich und Aristophanes.
    Kallikrates würde allerdings auch nicht fahren, sagte mir meine innere Stimme. Für den Heeresdienst war er etwas zu alt, und er hatte es abgelehnt, bezüglich seines Alters zu 414
    lügen. Außerdem sagte er, daß bei einem Menschen, der sich alles Erdenkliche einfallen lasse, um am Krieg teilnehmen zu dürfen, etwas mit dem Gehirn nicht ganz in Ordnung sein könne. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fand ich in gewisser Weise darin Trost, zumal die meisten der Leute, die ich am höchsten schätzte, bereits zu alt waren, um in den Krieg zu ziehen. Das bereitete mir allerdings in einer anderen Richtung Sorgen (warum hatte ich fast ausschließlich mit alten Menschen Freundschaft geschlossen, und was würde aus mir, wenn
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