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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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Wetteinsätze gekommen, und zog sich an den Rand des Kreidekreises zurück.
    Damals bestand mein wertvollster Besitz aus einem einzigen Obolos; die erste geprägte Münze, die mir je gehört hatte, und dabei war sie nicht einmal besonders hübsch. Einige Zeit bevor das Geldstück in meinen Besitz gelangte, schien einer der Vorbesitzer äußerst skeptisch gegenüber der Beschaffenheit der Metallmünze gewesen zu sein, denn er hatte einen Meißel genommen und nicht weniger als vier tiefe Kerben in das Geldstück geschlagen: drei davon quer über die Eule auf der Zahlseite und eine –
    in fast götterlästerlicher Art – direkt neben Athenas Nasenrücken auf der Vorderseite. Doch trotz dieser Entstellungen liebte ich den Obolos über alle Maßen, zumal ich ihn gegen drei qualitativ hochwertige Hasenfelle und ein gebrochenes Sichelblatt eingetauscht hatte, das ich im Bett eines kleinen Bachs gefunden hatte. Ich erinnere 9
    mich noch, wie ich mir beim Wettaufruf des Zeremonienmeisters sagte, ich sei noch viel zu jung, um mich schon an Glücksspielen zu beteiligen, und mir mein Vater mit gutem Recht gehörig das Fell über die Ohren ziehen würde, falls er jemals etwas davon herausbekommen sollte. Doch dann kam es mir so vor, als hörte ich den kleinen Obolos von seinem Ruheplatz unter meiner Zunge rufen – zu jener Zeit, also bevor die versilberten Kupfermünzen ausgegeben wurden, von denen man krank wird, wenn man sie verschluckt, bewahrten wir das Kleingeld nämlich immer im Mund auf. Jedenfalls beklagte sich mein Obolos, sich furchtbar einsam zu fühlen, doch böte sich mir nun die einmalige Gelegenheit, für ihn ein paar andere kleine Obolen als Spielkameraden zu gewinnen. Das sei eine völlig risikolose Sache, behauptete er. Ich hätte lediglich drei zu eins auf den Feindzerschmetterer zu setzen, und schon würde mir auf dem abendlichen Nachhauseweg ein hübsches kleines Nest voll metallener Eulen gegen die Zähne klappern.
    Folglich holte ich, nachdem sich die Horde von besessenen Glücksspielern so weit verlaufen hatte, daß ich mich nach vorn durchdrängen konnte, den Obolos aus dem Mund, wischte ihn sorgfältig mit dem Saum meines Chitons trocken und setzte ihn feierlich auf Euryalos den Feindzerschmetterer. Kurz darauf steckte jeder Züchter seinem jeweiligen Schützling ein kleines Stück Knoblauch zu – das macht die Hähne wild – und stieß ihn in den Kreis.
    Aias Blutkralle benötigte etwa dreißig Sekunden, um seinem Herausforderer den Garaus zu machen. Allein die ungestüme Heftigkeit seiner Attacke war meiner Meinung 10
    nach entscheidend. Bei dieser blutigen Auseinandersetzung kam es gar nicht erst zu dem vorsichtig abtastenden Herumlaufen im Kreis und dem gegenseitigen Ausrupfen der Federn, wie ich es von den Hahnenkämpfen in meiner Heimatstadt Pallene her gewohnt war. Blutkralle schob ohne viel Federlesens den Kopf vor, gab ein Geräusch wie reißendes Leinen von sich und sprang seinem Gegner einfach in den Nacken. Seine ganze Strategie schien darin zu bestehen, den Herausforderer mit den Krallen an der Gurgel zu packen und ihm den Kopf abzuhacken; für einen Hahn ein höchst unkonventionelles Vorgehen. Ein anständig aufgezogener, gut dressierter Vogel kämpft mit den Sporen, so, wie ein schwerbewaffneter Fußsoldat dazu den Speer benutzt. Er verschmäht die anderen Waffen, mit denen ihn die Natur versehen hat, genau wie ein Fußsoldat das Schwert wirklich erst im äußersten Notfall zieht. Von daher ist der konventionelle Kampfhahn sozusagen aufgeschmissen, wenn sich ein kleiner, aber flinker Feind bei ihm im Nacken festkrallt und nicht mehr loslassen will.
    Kaum hatte ich mich wieder in den Schutz des äußeren Rands des Zuschauerrings zurückgezogen, stand der Zeremonienmeister schon in der Mitte des Kreidekreises.
    Er hielt ein furchtbar zerzaustes, vor kurzem noch als Euryalos der Feindzerschmetterer bekanntes Federbündel in die Luft und verkündete, der Meister habe seinen Titel bei einer Gewinnquote von sieben zu eins verteidigt. Die Menge löste sich allmählich auf, und ich blieb ohne Obolos und mit nichts anderem als dem großartigen Anblick der Propyläen allein zurück. Schließlich entfernte auch ich mich und fand kurz darauf meinen Vater wieder, dem ich mitteilte, ich hätte meinen Obolos versehentlich 11
    verschluckt. Er hatte Mitleid mit mir und sagte, die Münze werde sich in ungefähr einem Tag durch meinen Verdauungsapparat gearbeitet haben und dabei völlig unversehrt
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