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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Autoren: Henning Mankell
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Sofias Wohnung befand sich in einem Anbau. Lange stand er im Schutz eines Gebüschs und beobachtete den Stall und die Umgebung. Ab und zu war ein Scharren oder Stampfen aus den Boxen zu hören. Im Anbau brannte kein Licht. Wallander versuchte klar zu denken. Daß Kurt Ström erschossen worden war, mußte nicht bedeuten, daß man ihn mit dem neuen Stallmädchen in Verbindung brachte. Ebensowenig stand fest, daß man ihren Anruf bei Sten Widén abgehört hatte. Das einzige, wovon Wallander mit Sicherheit ausgehen konnte, war die allgemeine Beunruhigung. Er setzte darauf, daß niemand mit seinem unbefugten Eindringen rechnete.
    Er blieb noch ein paar Minuten im Schutz der Büsche, dann rannte er, gebückt und so schnell er konnte, zum Anbau hinüber. Jeden Augenblick rechnete er damit, von einer Kugel getroffen zu werden. Er klopfte an die Tür und ertastete im |352| selben Moment die Klinke. Aus Angst hatte sie offenbar abgeschlossen. Als er ihre klägliche Stimme vernahm, gab er sich als Sten Widéns Freund Roger zu erkennen. Den Nachnamen Lundin hatte er in der Aufregung völlig vergessen. Sie öffnete, und in ihrem Gesicht sah er Verwunderung und Erleichterung zugleich. Er legte den Zeigefinger auf den Mund und trat ein. Die Wohnung bestand aus einer kleinen Küche und einem Zimmer mit abgetrennter Schlafecke. Sie setzten sich an den Küchentisch. Die Stallgeräusche waren nun deutlich zu hören.
    »Es ist wichtig, daß du meine Fragen exakt beantwortest«, sagte Wallander. »Ich habe nicht viel Zeit und kann dir nicht erklären, warum ich hier bin. Beantworte nur meine Fragen, sonst nichts.«
    Er faltete die Karte auseinander und legte sie auf den Tisch.
    »Ein toter Mann lag plötzlich vor deinem Pferd auf dem Weg«, sagte er. »Zeig mir genau, wo.«
    Sie lehnte sich vor und tippte mit dem Finger auf eine Stelle südlich vom Stall. »Dort ungefähr.«
    »Ich weiß, daß es schrecklich gewesen sein muß. Aber trotzdem will ich wissen, ob du ihn vorher schon mal gesehen hast.«
    »Nein.«
    »Wie war er gekleidet?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Trug er eine Uniform?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich kann mich an nichts erinnern.«
    Es war sinnlos, etwas aus ihr herauspressen zu wollen. Die Angst hatte ihre Erinnerung blockiert.
    »Ist heute noch etwas anderes vorgefallen? Etwas Ungewöhnliches?«
    »Nein.«
    »Niemand war hier und hat mit dir gesprochen?«
    »Nein.«
    Wallander versuchte zu verstehen, was das bedeutete. Aber das Bild eines tot im Dunkeln liegenden Kurt Ström verdrängte alle anderen Gedanken.
    |353| »Ich verschwinde jetzt«, sagte er. »Keiner darf wissen, daß ich hier gewesen bin.«
    »Kommst du wieder?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht. Aber mach dir keine Sorgen, es wird dir nichts passieren.«
    Vorsichtig spähte er durch eine Lücke in der Gardine und hoffte, daß er mit seinem Versprechen ihr gegenüber recht behalten würde. Dann öffnete er die Tür und rannte hinter das Gebäude. Ein schwacher, kaum spürbarer Wind war aufgekommen. Zwischen den Bäumen entdeckte er in einiger Entfernung starke Scheinwerfer, die die dunkelrote Fassade des Schlosses beleuchteten. In mehreren Etagen brannte Licht.
    Er merkte, daß er fror.
    Nachdem er das Gelände in Gedanken noch einmal mit der Karte verglichen hatte, schlich er weiter, die Taschenlampe in der Hand. Er kam an einem künstlichen Teich vorbei, aus dem man das Wasser abgelassen hatte. Dann wandte er sich nach links und suchte den Weg. Er schaute auf die Uhr; noch vierzig Minuten bis zum nächsten Kontakt mit Ann-Britt Höglund.
    Gerade als er glaubte, sich verirrt zu haben, sah er den Weg. Er war etwa einen Meter breit und zeigte Spuren von Pferdehufen. Wallander stand reglos und lauschte. Aber alles war still, nur der Wind schien stärker geworden zu sein. Langsam tappte er voran, stets darauf gefaßt, angegriffen zu werden.
    Nach etwa fünf Minuten zögerte er. Wenn die Angaben auf der Karte stimmten, dann war er zu weit gegangen. War er auf dem falschen Weg?
    Nach weiteren hundert Metern war er sicher, an dem von Sofia angegebenen Punkt vorbeigegangen zu sein.
    Er blieb stehen und überlegte.
    Kurt Ström war weg, jemand mußte den Körper beiseite geschafft haben. Wallander lief den Weg, den er gekommen war, zurück und versuchte, eine Entscheidung zu treffen. Wieder zögerte er, diesmal jedoch, weil er pinkeln mußte. Er trat zwischen die Sträucher am Wegesrand. Dann zog er die Karte aus der Tasche und knipste die
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