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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Autoren: Henning Mankell
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reden.«
    Erneut versetzte sie ihn in Erstaunen. »Das habe ich bereits getan. Er ist einverstanden.«
    »Sie haben mit Björk gesprochen?«
    »Ich hielt es für angebracht.«
    Wallander betrachtete die Ikone. Sie erinnerte ihn an Riga, an Lettland. Vor allem aber an Baiba Liepa.
    »Sie ist nicht so wertvoll, wie Sie glauben«, sagte Frau Dunér. »Aber sie ist schön.«
    »Sie ist wunderschön. Aber ich habe sie nicht verdient.«
    »Ich bin nicht nur deshalb gekommen«, sagte Frau Dunér.
    Wallander schaute sie erwartungsvoll an.
    »Ich wollte Sie nämlich etwas fragen. Gibt es wirklich keine Grenze für das Böse im Menschen?«
    »Ich glaube nicht, daß ausgerechnet ich darauf antworten kann.«
    »Wer sonst, wenn nicht ein Polizist?«
    Vorsichtig legte Wallander die Ikone auf den Tisch. Er hatte sich die Frage selbst schon oft genug gestellt. »Ich nehme an, Sie denken an die Tatsache, daß Menschen andere Menschen töten, um ein Organ herauszuschneiden und zu verkaufen«, sagte er. »Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Für mich ist das genauso unfaßbar wie für Sie.«
    »Was wird nur aus der Welt? Alfred Harderberg war doch ein Mensch, zu dem man aufschauen konnte. Wie bringt es |376| einer fertig, mit der einen Hand Geld für Bedürftige zu spenden und mit der anderen Menschen umzubringen?«
    »Wir müssen versuchen, dem zu widerstehen. Mehr können wir nicht tun.«
    »Wie kann man dem Unbegreiflichen widerstehen?«
    »Ich weiß nicht. Aber es muß uns gelingen.«
    Lange herrschte Schweigen. Vom Gang her war Martinssons fröhliches Lachen zu hören.
    Nach einer Weile stand Frau Dunér auf. »Ich will nicht länger stören«, sagte sie.
    »Es tut mir leid, daß ich Ihnen keine bessere Antwort geben konnte«, sagte Wallander, als er sie zur Tür begleitete.
    »Sie waren wenigstens ehrlich«, meinte sie.
    In diesem Augenblick fiel Wallander ein, daß auch er ihr etwas zu geben hatte. Er ging zum Schreibtisch zurück, zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine Ansichtskarte aus Finnland.
    »Ich hatte versprochen, daß Sie die zurückbekommen. Wir brauchen sie nicht mehr.«
    »Oh, ich hatte sie ganz vergessen«, sagte sie und verstaute die Karte in ihrer Handtasche.
    Er begleitete sie bis vor das Haus.
    »Ich wünsche frohe Weihnachten«, sagte sie zum Abschied.
    »Danke, das wünsche ich Ihnen auch. Ich werde gut auf die Ikone aufpassen.«
    Er ging in sein Zimmer zurück. Frau Dunérs Besuch hatte ihn beunruhigt. Er fühlte sich an die schwermütige Stimmung erinnert, die ihn so lange belastet hatte. Aber er verscheuchte die schlimmen Erinnerungen, zog seine Jacke an und machte sich auf den Heimweg. Jetzt hatte er Urlaub. Nicht nur von der Arbeit, sondern auch von allen deprimierenden Gedanken.
    Die Ikone habe ich nicht verdient, aber mit Sicherheit ein paar freie Tage, dachte er.
    Durch den Nebel fuhr er nach Hause und parkte den Wagen.
    Dann putzte er seine Wohnung. Bevor er sich schlafen legte, bastelte er einen provisorischen Christbaumständer und schmückte die kleine Tanne.
    |377| Die Ikone hatte er im Schlafzimmer aufgehängt. Bevor er das Licht ausmachte, betrachtete er sie aufmerksam.
    Er fragte sich, ob sie ihn schützen würde.
     
    Am Tag darauf war Weihnachten.
    Es war nach wie vor grau und diesig.
    Kurt Wallander war jedoch überzeugt, daß ihn das Grau in der Welt nicht unterkriegen würde.
    Obwohl das Flugzeug erst um halb vier landen würde, fuhr er bereits um zwei nach Sturup. Mit großem Unbehagen parkte er den Wagen und ging auf das gelbe Flughafengebäude zu. Alle Menschen schienen ihn zu beobachten.
    Dennoch konnte er seine Neugier nicht bezähmen. Er trat an das Tor rechts neben dem Gebäude und schaute hindurch.
    Die Gulfstream konnte er nirgendwo entdecken.
    Es ist vorbei, dachte er. Ich setze meinen Punkt, hier und jetzt.
    Sofort fühlte er sich erleichtert.
    Das Bild des lächelnden Mannes verblaßte.
     
    Rastlos schlich er in der Halle umher und war so nervös wie ein Teenager vor dem ersten Rendezvous. Er zählte die Bodenfliesen, übte sein schlechtes Englisch und dachte unablässig und voller Hingabe an das, was ihn erwartete.
    Als die Maschine landete, ging er schnell in die Ankunftshalle und stellte sich an den Zeitungskiosk, um zu warten.
    Sie war unter den letzten Fluggästen.
    Aber sie war es. Baiba Liepa.
    Und sie sah genau so aus, wie er sie in Erinnerung hatte.

Informationen zum Buch
    Länger als ein Jahr ist Kurt Wallander dem Kommissariat in Ystad ferngeblieben.
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