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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin
Autoren: Henning Mankell
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sah sie, daß es eine Pistole war.
    Langsam nahm er die Waffe hoch und zielte auf ihren Kopf.
    Lieber Gott, konnte sie noch denken.
    Lieber Gott, hilf mir. Er will mich umbringen. Lieber Gott, hilf mir.
    Es war Viertel vor vier am Nachmittag des 24.   April 1992.

2
    Als Kriminalkommissar Kurt Wallander am Morgen des 27.   April, einem Montag, ins Polizeigebäude von Ystad kam, war er wütend. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so schlechte Laune gehabt hatte. Die Wut hatte sogar Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, in Form eines Pflasters auf einer Wange, wo er sich beim Rasieren geschnitten hatte.
    Mürrisch antwortete er den Kollegen, die ihm einen guten Morgen wünschten. Als er sein Zimmer erreicht hatte, warf er die Tür hinter sich zu, legte den Telefonhörer neben den Apparat und setzte sich, um aus dem Fenster zu starren.
    Kurt Wallander war vierundvierzig Jahre alt. Man hielt ihn für einen fähigen Polizisten, hartnäckig und durchaus scharfsinnig. |31| An diesem Morgen aber fühlte er nur Wut und einen wachsenden Mißmut. Den Sonntag würde er am liebsten völlig vergessen.
    Eine der Ursachen war sein Vater, der allein in einem Haus im Flachland vor Löderup wohnte. Wallanders Verhältnis zu ihm war immer kompliziert gewesen. Daran hatten die Jahre nichts geändert, weil der Sohn mit wachsendem Unbehagen erkennen mußte, daß er dem Vater immer mehr zu ähneln begann. Er versuchte, sich sein eigenes Alter wie das des Vaters vorzustellen, und der Gedanke verdarb ihm die Laune. Sollte auch er sein Leben als ein mürrischer und unberechenbarer Greis beschließen? Der plötzlich etwas tun konnte, was reineweg verrückt war?
    Am Sonntag nachmittag hatte Kurt Wallander ihn wie gewöhnlich besucht. Sie hatten Karten gespielt und dann draußen auf der Veranda in der Frühlingssonne gesessen und Kaffee getrunken. Ohne Vorwarnung hatte der Vater mitgeteilt, daß er heiraten würde.
    Kurt Wallander glaubte zunächst, sich verhört zu haben. »Nein«, hatte er gesagt. »Ich will nicht heiraten.«
    »Ich spreche nicht von dir«, antwortete der Vater. »Ich spreche von mir.«
    Kurt Wallander hatte ihn mißtrauisch angesehen. »Du bist fast achtzig Jahre alt. Du kannst nicht heiraten.«
    »Ich bin noch nicht tot«, unterbrach ihn der Vater. »Ich mache, was ich will. Frag lieber, wen ich heirate.«
    Kurt Wallander gehorchte. »Wen?«
    »Kannst du dir doch selbst ausrechnen«, sagte der Vater. »Ich dachte immer, die Polizei wird dafür bezahlt, Schlußfolgerungen zu ziehen.«
    »Du kennst doch gar keine Gleichaltrige. Du bist doch fast immer allein.«
    »Ich kenne eine«, berichtigte der Vater. »Und wer sagt denn, daß man eine Gleichaltrige heiraten muß?«
    Plötzlich wußte Kurt Wallander, daß es nur eine Möglichkeit gab: Gertrud Anderson, die fünfzigjährige Frau, die dreimal in der Woche kam und für den Vater saubermachte und seine Wäsche wusch.
    |32| »Willst du Gertrud heiraten?« erkundigte er sich. »Hast du sie überhaupt gefragt, ob sie will? Da sind dreißig Jahre Altersunterschied zwischen euch. Wie willst du denn mit einem anderen Menschen zusammenleben? Das hast du doch nie gekonnt. Nicht einmal mit Mutter ging es gut.«
    »Ich bin verträglicher geworden auf meine alten Tage«, erklärte der Vater milde.
    Kurt Wallander weigerte sich zu glauben, was er hörte. Sein Vater wollte heiraten? Verträglicher geworden auf die alten Tage? Er war unmöglicher als je zuvor.
    Dann war es zum Streit gekommen. Zum Schluß hatte der Vater seine Kaffeetasse ins Tulpenbeet geschleudert und sich in der Scheune eingeschlossen, wo er seine Bilder mit dem sich ständig wiederholenden Motiv malte: Sonnenuntergang in einer Herbstlandschaft, mit oder ohne Auerhahn im Vordergrund, ganz nach dem Geschmack des Auftraggebers.
    Kurt Wallander war nach Hause gefahren, viel zu schnell. Er mußte das wahnsinnige Unternehmen stoppen. Wie konnte es sein, daß Gertrud, die schließlich ein Jahr lang beim Vater gearbeitet hatte, nicht wußte, daß es unmöglich war, mit ihm zu leben?
    Er hatte den Wagen dicht bei seiner Wohnung in der Mariagata im Zentrum von Ystad geparkt und sich vorgenommen, sofort seine Schwester Kristina in Stockholm anzurufen. Er würde sie bitten, nach Schonen herunterzukommen. Den Vater würde keiner beeinflussen können. Aber vielleicht konnte man Gertrud ein wenig Vernunft beibringen.
    Es kam nicht zu dem Anruf bei seiner Schwester. Als er seine Wohnung im obersten Stockwerk erreichte, sah
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