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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch
Autoren: Joseph Hayes
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Sonntag
    Es war ein völlig normaler Sonntag. Ich hatte den größten Teil des Tages auf dem Lande verbracht, in unserem kleinen rustikalen Blockhaus, das bis zur Heirat unserer Tochter Anne vor einem Jahr Lydias und mein Wochenend-Refugium gewesen war. Doch nun kam ich mir dort, besonders, da Lydia in London weilte, wie ein Eindringling vor, obgleich Anne und Glenn es nur so lange bewohnen wollten, bis Glenn mit seinen Geschäften in der Gegend von Newton Fuß gefaßt hatte. Obwohl sie in ihrer Art forscher, ihr blondes Haar um einen Schein dunkler und ihre Sonnenbräune nicht mit Lydias Blässe zu vergleichen war, erinnerte Anne mich zu sehr an ihre Mutter. Dazu kam, daß ich mich in der Atmosphäre neckender Zärtlichkeit und spielerischer Andeutungen ihrer Intimität, wie sie immer zwischen Anne und Glenn herrschte, doppelt einsam und ausgeschlossen fühlte. Um fünf Uhr war ich so ruhelos und ungeduldig geworden, daß ich einfach gehen mußte.
    Ich war in einem nur träg dahinfließenden Verkehrsstrom auf der Ausfallstraße in die Stadt zurückgefahren, und nun lag ein endlos leerer Abend vor mir. In den vier Wochen, die Lydia nun fort war, hatte mich die Konzentration auf meine Arbeit mehr oder weniger durch die Tage getragen, aber die Abende und Wochenenden bedrückten mich zunehmend. Ein merkwürdiger Zustand, denn obgleich ich wußte, daß mir Lydia fehlen würde, hatte ich mir doch vorgestellt, daß uns eine kurze Unterbrechung der üblichen Routine gut tun würde. Mit einem solchen Gefühl des Verlorenseins hatte ich nicht gerechnet.
    Die Straßen in der Stadt dampften vor Hitze und Luftfeuchtigkeit. Anstatt den Wagen dem Portier unseres Appartementhauses zu überlassen, fuhr ich ihn selbst in die Garage. Dann beschloß ich, um den vor mir liegenden öden Stunden bis zum Schlafengehen zu entrinnen, einmal zu sehen, was für ein Film in dem Kino um die Ecke lief. Es war, wie sich herausstellte, ein schwedischer Import, Lieber John, eine zarte und schlichte Liebesgeschichte, die sich zwischen zwei einsamen Menschen anbahnte – das Alleinsein führte zuerst zu sexuellen, dann zu zärtlicheren und differenzierteren Beziehungen und Erkenntnissen. Trotzdem wurden einige ziemlich deutliche Liebesszenen und unverhüllte Nacktheit gezeigt, so daß sich in mir eine quälende Begierde regte. Wäre Lydia nicht schon so lange in so weiter Ferne, sondern bei mir gewesen, hätte ich anders reagiert. Die Kommentare im Foyer hätten sie amüsiert. Ich konnte mir auch deutlich vorstellen, was sie auf dem Heimweg, locker eingehängt, gesagt haben würde: Aber sie haben den Sinn völlig mißverstanden. Diese Idioten rennen aus dem falschen Grund in den Film. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll.
    Weil ich ihren sanften englischen Akzent in Gedanken auslöschen und mich nicht der Erinnerung an einige unserer eigenen Liebesszenen überlassen wollte, war ich auf einem Sprung in Pats Pub gegangen, eine etwas düstere Kneipe in der Nachbarschaft, die einem Italiener namens Pat gehörte. Ich hatte einige doppelte Scotches getrunken und mir dabei Zeit gelassen, die ich im Überfluß besaß. Ich war nie ein großer Trinker gewesen: einen vor dem Abendessen zu Hause, höchstens zwei bei Einladungen, gelegentlich ein Glas Wein zum Essen, weil Lydia gern Wein trank, vielleicht noch einen Kognak danach. In letzter Zeit trank ich etwas mehr und hatte es mir angewöhnt, ungefähr jeden zweiten Tag kurz zu Pat zu gehen – Gewohnheiten, die ich natürlich nicht beibehalten würde, wenn Lydia zurückkam.
    Der Whisky übte eine angenehm entspannende Wirkung aus, und als ich dann zu meiner Wohnung schlenderte, kramte ich ohne ersichtlichen Grund in meinem Gedächtnis nach einem Gedicht, von dem mir nur zwei Zeilen einfielen: »Wir waren sehr lustig, wir waren sehr heiter und fuhren gegen Abend auf der Fähre weiter.« Lydia hätte es wie aus der Pistole geschossen gewußt, nicht nur die anderen Zeilen, sondern auch, von wem es stammte. Irgendwie erinnerte es mich an unsere ersten Jahre in New York nach dem Krieg, als wir an Sommerabenden gern mit der Fähre nach Staten Island und zurück getuckert waren. Wie lange lag das zurück? Zwanzig Jahre. Unmöglich.
    Ich nickte dem Portier zu – Terence, der Ire, hatte Dienst, nicht Geoffrey, der Engländer, über den sich Lydia immer amüsierte –, und er nickte mir ebenfalls freundlich zu. Ich fuhr allein in dem engen Selbstbedienungsaufzug nach oben und schloß die
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