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Wallander 03 - Die weisse Löwin

Wallander 03 - Die weisse Löwin

Titel: Wallander 03 - Die weisse Löwin
Autoren: Henning Mankell
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noch nicht.«
    Henning Klopper schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um meine Erinnerung«, erwiderte er. »Es geht weder um mich noch um meine Familie. Ich rede von einem englischen Sergeanten namens George Stratton.«
    Hans du Pleiss unterbrach seinen Versuch, ein Zigarillo anzuzünden. »Seit wann interessierst du dich für Engländer?« fragte er. »Ein guter Engländer ist ein toter Engländer, egal ob Sergeant, Politiker oder Grubenaufseher.«
    »Er ist tot«, sagte Henning Klopper. »Sergeant George Stratton ist tot. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Gerade von seinem Tod will ich ja erzählen. Er starb vor vierzig Jahren.« Hans du Pleiss öffnete den Mund, um einen weiteren Einwand vorzubringen, aber Werner van der Merwe legte ihm schnell die Hand auf die Schulter. »Warte«, sagte er. »Laß Henning erzählen.«
    Henning Klopper trank noch einen Schluck Kaffee und tupfte sich den Mund und den dünnen, hellen Schnurrbart sorgfältig mit einer Serviette ab. »Es war im April 1878«, begann er. »Während des britischen Krieges gegen die aufrührerischen afrikanischen Stämme.«
    »Der Krieg, den sie verloren haben«, sagte Hans du Pleiss. »Nur die Engländer können einen Krieg gegen Wilde verlieren. Bei Isandlwana und Rorke’s Drift zeigte die englische Armee, wozu sie in Wahrheit taugt. Nämlich dazu, sich von Wilden massakrieren zu lassen.«
    |12| »Laß ihn doch weiterreden«, sagte Werner van der Merwe. »Unterbrich doch nicht immer.«
    »Was ich erzählen will, geschah irgendwo in der Nähe des Buffalo River«, fuhr Henning Klopper fort. »Die Eingeborenen nennen den Fluß Gongqo. Die Abteilung Mounted Rifles, für die Stratton verantwortlich war, hatte auf einem freien Feld unweit des Flusses ihr Lager aufgeschlagen und war in Stellung gegangen. Vor ihnen lag ein Höhenzug, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere. Hinter dem Berg jedoch wartete eine Gruppe Xhosakrieger. Es waren nicht viele, und sie waren schlecht ausgerüstet. Strattons Soldaten hatten keinen Grund zur Beunruhigung. Ausgesandte Späher versicherten, daß das Heer der Xhosa schlecht organisiert war und einen Rückzug vorzubereiten schien. Außerdem erwarteten Stratton und seine Offiziere an diesem Tag Verstärkung durch mindestens ein Bataillon.
    Aber plötzlich geschah etwas mit Sergeant Stratton, der sonst bekannt dafür war, daß er nie die Ruhe verlor. Er begann umherzulaufen und sich von seinen Soldaten zu verabschieden. Alle, die ihn sahen, berichteten, daß er den Eindruck machte, plötzlich von Fieber befallen zu sein. Dann zog er seine Pistole und schoß sich in den Kopf, vor seinen Soldaten. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, als er am Buffalo River starb. Vier Jahre älter, als ich heute bin.«
    Henning Klopper verstummte abrupt, als ob das Ende der Geschichte auch ihn überrascht hätte. Hans du Pleiss formte aus dem Rauch seines Zigarillos einen Ring und schien eine Fortsetzung zu erwarten. Werner van der Merwe schnipste mit den Fingern nach dem schwarzen Servierer, der in einem anderen Winkel des Lokals einen Tisch abwischte.
    »War das alles?« fragte Hans du Pleiss.
    »Ja«, antwortete Henning Klopper. »Reicht das nicht?«
    »Ich glaube, wir brauchen mehr Kaffee«, sagte Werner van der Merwe.
    Der schwarze Servierer, der auf einem Bein hinkte, nahm die Bestellung mit einer Verbeugung entgegen und verschwand durch die Schwingtür zur Küche.
    »Warum erzählst du von einem englischen Sergeanten, der |13| einen Sonnenstich bekommen hat und sich erschießt?« fragte Hans du Pleiss.
    Henning Klopper betrachtete seine Freunde erstaunt. »Versteht ihr nicht? Versteht ihr wirklich nicht?«
    Seine Verwunderung war echt, da gab es nichts Gespieltes oder Aufgesetztes. Als er die Geschichte über Sergeant Stratton zufällig in einer Zeitschrift in seinem Elternhaus entdeckt hatte, war ihm sofort klargeworden, daß sie ihm etwas bedeutete. Es schien ihm, als könne er in Sergeant Strattons Schicksal sein eigenes voraussehen. Der Gedanke hatte ihn anfangs verwirrt, weil er so unwahrscheinlich war. Was konnte er mit einem Sergeanten der englischen Armee, der ganz offensichtlich wahnsinnig geworden war und die Revolvermündung auf die Stirn gerichtet und abgedrückt hatte, gemeinsam haben?
    Eigentlich war es nicht die Beschreibung von Strattons Schicksal, die seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Es waren die letzten Zeilen des Artikels. Ein einfacher Soldat, ein Zeuge des Vorfalls, hatte viel später berichtet,
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