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Wall Street Blues

Wall Street Blues

Titel: Wall Street Blues
Autoren: Annette Meyers
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Arme.
    »Um Himmels willen, Wetzon.« Leon hielt eine Hand über die Augen und schaute auf sie herab. Seine Brille saß wie immer auf seiner Nasenspitze, was ihn wie einen zerstreuten Professor aussehen ließ.
    »Leon, was für eine Überraschung. Wie geht es Ihnen?«
    »Gut, danke«, sagte Leon herzlich, indem er seine Brille die Nase hinaufschob. »Was machen Sie denn hier?« Er trat etwas zur Seite, so daß er zwischen ihr und dem Barbereich stand.
    »Einen Makler treffen natürlich. Und Sie?«
    »Einen Klienten natürlich. Ich würde Sie bitten, sich zu uns zu setzen, während Sie warten, aber...« Er sah verstohlen über ihre Schulter zur Bar hinüber.
    »Nein, vielen Dank«, unterbrach sie ihn. »Meine Verabredung wird jeden Moment hier sein. Ich wollte mich gerade dort drüben hinsetzen.« Sie zeigte auf die Sessel unter den Topfbäumen.
    Leon legte seine Hand ein wenig fester als nötig auf ihre Schulter und führte Wetzon zu den Sesseln.
    »Wir müssen bald mal zusammen zu Abend essen«, sagte er freundlich und schlenderte auf die Bar zu, ein sehr langer, linkisch wirkender dünner Mann mit etwas krummem Rücken.
    Wetzon zuckte die Achseln. Immer ein bißchen verrückt, der Leon, aber ein guter Anwalt.
    Leon Ostrow war für Smith und Wetzon der erste Schritt zum eigenen Geschäft gewesen. Er hatte ihren Gesellschaftsvertrag aufgesetzt und ihre Eintragung veranlaßt. Er war ihnen empfohlen worden, und sie hatten ihm von Anfang an vorbehaltlos vertraut. Leon war in erster Linie ein Anwalt, der sich mit kleinen Firmen, Kapital- und Personengesellschaften sowie Immobiliensachen befaßte, und als Wetzon und Smith alle Rechtsanwälte, die sie kannten, auflisteten, war sein Name auf beiden Listen aufgetaucht. Er gewährte Künstlern und künstlerischen Belangen kostenlosen Rechtsbeistand, und Wetzon hatte ihn kennengelernt, als sie sich in einer Gruppe engagiert hatte, um zwei Broadway-Theater vor dem Abriß zu retten. Smith hatte ihn in ihrer Zeit als Personalchefin der Gordonflow Corporation kennengelernt. Sie hatte ihn konsultiert, als ihr Gebäude in eine Genossenschaft umgewandelt wurde.
    Wetzon sah zur Bar hinüber, weil sie hoffte, den oder die Klienten zu entdecken, aber es war dort sehr voll geworden.
    Die stark geschminkte Blondine schwebte die Treppe herauf und hielt nach jemandem Ausschau. Sie ging auf die Bar zu und wurde von zwei konservativ gekleideten Gästen mit einem begeisterten Hallo begrüßt. Sie lächelte, stellte sich kurz in Positur und ging dann mit leicht wiegendem Gang auf die beiden zu.
    Wetzon überblickte den Grillroom vor sich: große bequeme Stühle, feines Leder, oder vielleicht PVC der Spitzenqualität, auf Metallrahmen. Geräumige Stühle für geräumige Hintern, dachte sie. Um diese Zeit waren die Tische nicht gefragt, aber zur Essenszeit hatten die erfolgreichsten Männer New Yorks hier ihre reservierten Plätze.
    Martin, der sehr englische Oberkellner des Grillrooms, hatte gerade seinen Dienst angetreten und lief geschäftig hin und her, ein adretter Mann mit schwarzer Fliege. Er entdeckte sie, wie er jeden entdeckte, und winkte.
    Plötzlich erschien Barry und stieg schnell die Treppe links von ihr hinauf. Er sah völlig daneben aus, sogar ängstlich, dachte sie bestürzt, und er war ungepflegt — für seine Verhältnisse. Sie nahm das nur wahr, weil sie ihn kannte. Jeder andere, der ihn betrachtete, würde einen gutaussehenden jungen Mann mit dunkler Brille sehen, überdurchschnittlich groß, der einen elegant geschnittenen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd mit Umschlagmanschetten und eine dunkelblau und rot gemusterte Ripskrawatte trug. Ein junger Mann in Eile. Er trug einen großen Diplomatenkoffer. Er nahm die dunkle Brille nicht ab, und als er näher kam, sah Wetzon die rötliche Schramme am Kinn und die aufgeplatzte Lippe.
    »Ich habe Verspätung«, sagte er mit seltsam normaler Stimme, nicht in seiner gewohnten dröhnenden Lautstärke, und dabei wendete er den Kopf hin und her, sah sie nicht richtig an, sondern überblickte den Raum, den Barbereich. »Ich bin früh aus dem Büro gegangen, aber ich mußte — ich werde beobachtet.« Er atmete schwer, und sein lockiges Haar fiel ihm in die Stirn. Er schüttelte energisch ihre Hand und zuckte zusammen. Sie blickte auf seine Hand. Die Knöchel waren wund und rot.
    »Sie sehen furchtbar aus«, stellte Wetzon fest.
    »Ich weiß«, sagte er todtraurig. »Ich wollte nichts anderes, als mir ein gutes Auskommen
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