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Wall Street Blues

Wall Street Blues

Titel: Wall Street Blues
Autoren: Annette Meyers
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Roger Compari bei Boyd & Boyd untergebracht und jeden Monat ihre Rechnung geschickt, und jeden Monat gab es eine neue Ausrede, warum sie noch nicht bezahlt war.
    Smith, die mit dem Rücken zu Wetzon saß, drehte sich mit dem Stuhl um und deutete auf das Telefon, dann an ihren Kopf und beschrieb einen Kreis mit der Hand. Wetzon verdrehte die Augen und hielt ihren Mittelfinger hoch. Smith hielt die Sprechmuschel zu und lachte.
    Das Telefon läutete. Und noch einmal. Wohin war Harold verschwunden? Wetzon griff nach dem Hörer.
    »Smith und Wetzon«, sagte sie forsch.
    »Oh, gut, Sie sind’s.« Wetzon erkannte Barry Starks Stimme sofort, obwohl sie ihn kaum hören konnte. Die Stimme klang nasal, als hätte er eine Nebenhöhlenerkrankung, was vermutlich zutraf — wer in New York litt nicht darunter? — , aber es war so gar nicht seine Art, so leise zu sprechen.
    Wetzon kannte Barry Stark seit drei Jahren. Erst bei Merrill, jetzt bei Jake Donahue.
    »Ihr Stil gefällt mir«, hatte er gesagt, als sie ihn zum erstenmal auf gut Glück angerufen hatte. »Sie sind wirklich gut. Sie hören zu. Sie können mich jederzeit anrufen.« Seine Stimme hatte sie praktisch durch die Leitung angebrüllt.
    Sie war bei ihm nie bis zu einem Abwerbegespräch gekommen und würde es vermutlich nie schaffen, aber er war eine gute Informationsquelle. Weil er anscheinend Gott und die Welt kannte, konnte er Wetzon, die er als Freundin betrachtete — und das war sie, soweit Leute in der Branche fähig waren, Freunde zu haben — , mit Namenslisten und Verzeichnissen von jedem Makler in jedem Büro jeder Firma, zu der er Kontakt hatte, mit einer Beschreibung jeder Person bis zur Art der Geschäfte und ihren Einkünften versorgen. Eines mußte man Barry lassen — ihm entging nichts. Sie hatte seit Monaten nicht mehr mit ihm gesprochen, seit Weihnachten nicht mehr, als sie ihm telefonisch schöne Feiertage gewünscht hatte, und er war zu beschäftigt gewesen, um viel zu reden.
    »Ich muß Sie sehen, es ist dringend«, sagte er jetzt. Er hörte sich übernervös an.
    »Alles in Ordnung?« fragte Wetzon. Smith schimpfte oft, sie sei zu gutmütig und lasse sich von diesen verkorksten Typen mit ihren Problemen überrumpeln und ausnutzen, aber Barry war nicht so schlecht, wie Smith meinte.
    »Warum läßt du dich ausnutzen?« fragte Smith immer wieder. »Genau das tun sie nämlich. Die fahren auf dich ab. Und Barry Stark ist ein Kokser wie alle andern auch.«
    »Oh, ich weiß, was er tut«, gab Wetzon dann zurück, »und ich halte ihn auch nicht für einen Kokser. Dafür interessiert er sich zu sehr für seinen schönen Körper. Aber wenn jemand Hilfe braucht, kann ich doch nicht nein sagen. Das liegt mir einfach nicht.«
    Sie konnte es wirklich nicht, weshalb sie schnell im Kopf mit ihren Terminen jonglierte. »Bleiben Sie einen Moment dran, Barry, mal sehen, was ich tun kann. Wann möchten Sie mich treffen? Paßt Ihnen fünf Uhr?«
    »Ausgezeichnet. Ich brauche ungefähr eine halbe Stunde, um hochzufahren. Wo wollen wir uns treffen?«
    »Im Four Seasons. Nehmen Sie den Eingang an der 52. Street zwischen Park und Lexington, gehen Sie die linke Treppe nach oben. Sie wissen doch, wenn Sie oben sind, haben Sie rechts die Bar und links ein paar Sessel. Ich werde dort sein.«
    »Okay«, sagte Barry. »Ich erinnere mich. Wo wir uns schon mal getroffen haben.« Seine Stimme war immer noch eigenartig, fast ein Flüstern.
    »Alles in Ordnung, Barry?«
    »Es ist etwas passiert. Sie wollen — ich sag’s Ihnen nachher.« Er hängte ein.
    Wetzon seufzte und legte den Hörer auf. Der arme Barry mußte sich in eine Zwangslage manövriert haben. Er mußte eben immer den kürzesten Weg nehmen, konnte sich nicht an die Regeln halten. Er hatte sehr schnell eine Menge Geld verdient, und er war vermutlich noch unter dreißig. Er schien immer extrem zu leben, mußte ständig in Aktion sein; es war wie eine Droge, und er sah sich selbst als einen Mann mit höchst eigenwilligen Methoden, der seine eigenen Geschäfte machen konnte. Nicht einmal der Börsenkrach hatte ihm einen Dämpfer verpaßt.
    Aber Wetzon sah aus ihrem Blickwinkel, daß Barry sich verrannt hatte. Er hatte Fehler gemacht, und eines Tages würde er einen großen machen und sich und seine Kunden in den Abgrund reißen. Selbstzerstörung war ihm auf den Leib geschrieben.
    Vor drei Jahren, als sie ihn kennengelernt hatte, war er wie ein Sportler die Treppe im Four Seasons hochgesprungen, fast überlebensgroß,
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