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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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Göttlichen.
    Lehrreich und reizvoll ist es, hier dem Verfahren der sagenbildenden Einbildungskraft in ihrer Werkstätte zu lauschen; dass die Leiber der Götter frei sind von den dem Menschen anklebenden Gebrechen und den seinem Leib gezogenen Schranken, versteht sich; aber die Dichtung verträgt es nicht, diesen Gedanken nackt und nüchtern hinzustellen; fast ohne Aufenthalt zwar durchmessen Hermes oder Donar den unendlichen Luftraum; aber in schön sinnlicher Fügung wird dies Vermögen nicht bildlos ihnen beigelegt, sondern an ein gefälliges, der Einbildungskraft sich einschmeichelndes Mittel gebunden; Hermes bedarf der Flügelschuhe und Donar seines von Böcken gezogenen, rollenden Donnerwagens. Die Götter sind auch unalternde Wesen; aber auf dass Zeus und Wotan in höherer Mannesreife, Hera, Venus und Frigg in vollentfalteter Frauenschöne, Apollo und Baldur in Jünglingsblüte bleiben, bedürfen sie bestimmter Speise: der Ambrosia oder der Äpfel Iduns; – und selbstverständlich lässt sich die Einbildungskraft den reizenden Einfall nicht entgehen, durch Entwendung der köstlichen Speise die Unalternden plötzlich mit dem Lose der Menschen zu bedrohen; von selbst ergibt sich dann die Aufgabe, durch kühne Tat die geraubten Früchte den Göttern wieder zu schaffen.
    Aber auch nach andrer Richtung lässt sich die Einbildungskraft, die sich nun einmal der Sagenbildung, immer weitergreifend, bemächtigt, in ihrem Walten nicht hemmen. Während nämlich wissenschaftliche Denkweise ebenso wie die einen Gott glaubenden Religionen die Vielheit der Erscheinungen auf ein Gesetz, auf eine einheitliche Ursache zurückzuführen bestrebt ist, waltet in der künstlerischen Anschauung der Einbildungskraft notwendig das entgegengesetzte Trachten. Die Wissenschaft der Pflanzenkunde z. B. muss danach verlangen und sich daran erfreuen, Keim, Blüte, Frucht als blosse Umgestaltungen des nämlichen Wesens und diese Gestaltungen als Erscheinungen des nämlichen Gesetzes zu ergründen –; aber die Göttersage wird eine andre Göttin der Saaten, eine andre der Ernte mit Ungestüm verlangen; sie würde unmöglich für die Nacht dieselbe Göttin wie für den Tag, für den silbernen Mond wie für die goldene Sonne ertragen; sie wird für Krieg, Jagd und Ackerbau, für Tod und Liebe, für Winter und Sommer, für Meer und Feuer, und für das Feuer als wohltätige und für das nämliche Feuer als verderbliche Gewalt verschiedene Göttergestalten aufstellen müssen; d. h. diese Religionen sind viele Götter lehrend.
    Aber nicht nur Vermenschlichung und Vervielfältigung der Götter verbreitet die Einbildungskraft in den Götterglauben; – sie geht bald weiter. Während sie anfangs, bis die wichtigsten Göttergestalten gezeichnet, die vom religiösen Bedürfnis ihnen notwendig beigelegten Eigenschaften und Schicksale geschildert und erzählt sind, sich doch immer wesentlich noch dienend verhalten hat, bemächtigt sie sich später, nachdem die Göttergestalten, ihre Eigenart, ihre Begleitgeräte und ihre wesentlichen Beziehungen zueinander feststehen, dieser Gestalten wie jedes andern gegebenen Stoffes und behandelt sie weiterbildend lediglich nach den eignen künstlerischen Zwecken und Absichten; ganz wie sie z. B. geschichtliche Männer und Ereignisse: den Untergang der Burgunden, Attila, Theoderich von Verona, Karl den Grossen in dichterischem Schaffen und Umschaffen schmückt, verhüllt, umgestaltet und verwandelt. Die Einbildungskraft schaltet nun frei mit diesen einladenden Gestalten; sie erfindet, in anmutvollem Spiel das Gegebene weiter bildend, eine Menge von neuen Geschichten und Geschichtlein, zuweilen verfänglicher Art, zum Teil noch im Anschluss an die alten Naturgrundlagen jener Götter, oft aber auch gelöst von denselben, indem sie einzelne menschliche Züge weiter ausführt oder verwertet.
    So erspriesst um die alten ehrwürdigen Göttergestalten ein üppig wucherndes Wachstum, welches mit schlingenden Ranken und duftigen Blüten die ursprünglichen Umrisse zwar schmückt, aber auch verhüllt und unkenntlich macht. Bei diesen Religionen weiss man dann gar nicht mehr zu scheiden, wo die Grenze endet und wendet, d. h. wo das Gebiet der eigentlichen Glaubenslehren abschliesst und wo das der dichterischen Erfindungen beginnt, an welche das Volk kaum ernsthaft glaubt.
    Welches Verhältnis nimmt aber die in solcher Weise durch die Einbildungskraft umgewandelte Götterwelt nunmehr zu dem religiösen Bedürfnis ein? Antwort:
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