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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh
Autoren: Susanne Mischke
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gefährlich!
    Was, wenn einer der Entführer weiterhin das Haus beobachtete? Womöglich von unserem Baumhaus aus, dachte Emily wütend. Da hatten sie diesen Mistkerlen auch noch einen bequemen Aussichtspunkt gebaut! Wie ironisch konnte das Schicksal eigentlich sein?
    Nein, beschloss Emily, sie würde keine Mail schicken und auch nicht telefonieren. Es war die Entscheidung der Schwestern, zur Polizei zu gehen oder nicht. Sie, Emily, würde nur eines tun: dieses Bild so gut und so schnell wie möglich kopieren.
    Einmal im Schaffensrausch, ging die Arbeit schließlich schneller voran, als Emily gedacht hatte. Kurz nachdem der Einuhrgüterzug durchgerauscht war, legte sie den Pinsel aus der Hand. Sie war völlig erschöpft. Der Rücken, die Schultern, der rechte Arm waren verspannt und ihre Augen brannten. Unten saßen Janna und Axel Arm in Arm auf dem Sofa. Der Fernseher lief, aber die beiden schliefen. Emily war so vertieft in ihre Ar beit gewesen, dass sie Axels Ankunft gar nicht mitbekommen hatte. Wie er die Geschichte wohl aufgenommen hatte? Vermutlich hatte er zu allem Ja und Amen gesagt. Emily hatte mit der Zeit den Eindruck gewonnen, dass Axel so ziemlich alles tat, was Janna wollte. Auch Marie kauerte in ihrem Sessel, auch sie schlief.
    »Fertig«, verkündete Emily lautstark.
    Alle drei fuhren in die Höhe.
    »Das Bild – ihr könnt es ansehen.«
    Janna und Axel eilten hinauf und auch Marie hechtete aus ihrem Sessel. Nervös folgte Emily ihnen. Sie war nicht völlig glücklich mit ihrem Werk. Am meisten hatte ihr der Gesichtsausdruck des Mannes Probleme bereitet. Wie hatte Picasso das nur hingekriegt, diesen melancholischen Ausdruck mit so wenigen Strichen? Es hatte zwei Stunden in Anspruch genommen, bis sie einigermaßen mit dem Ergebnis zufrieden gewesen war.
    »Hm. Nicht schlecht«, urteilte Janna. »Was meint ihr?«
    »Ich finde es toll«, sagte Marie. »Das muss einfach funktionieren!«
    »Schönes Blau«, fand Axel. »Aber hat Picasso nicht ganz anders gemalt?«
    Emily verzichtete auf eine Lektion in Sachen Picasso und sagte nur: »Ich versuche ein paar Stunden zu schlafen, damit ich um fünf wieder einigermaßen fit bin.«
    »Du musst nicht mitkommen«, wehrte Janna ab. »Das machen Axel und ich.«
    »Du spinnst wohl?«, fauchte Marie. »Ihr lasst mich nicht hier! Moritz ist auch mein Bruder.«
    »Und ich komm auch mit«, sagte Emily fest. »Das stehen wir zusammen durch.«
    »Mensch, Kinder, das wird kein Familienausflug«, protestierte Axel.
    »Dann bleib du doch zu Hause«, giftete Marie.
    »Entschuldige mal . . .«, begann Axel, aber nun wurde es Emily zu bunt: »Ruhe, verdammt noch mal! Kann man mit euch denn nicht einmal etwas besprechen, ohne dass gestritten wird? Marie und ich kommen mit. Und jetzt sollten wir schlafen!«
    Damit verschwand Emily im Bad und auch die anderen legten sich ohne weitere Diskussionen hin.
    Die Sonne war gerade aufgegangen und blinzelte durch die staubigen Scheiben des Küchenfensters. Axel hatte Kaffee gekocht, den aber niemand außer ihm anrührte. Janna sagte, sie sei auch ohne Koffein schon aufgeregt genug. Auf dem Küchentisch lag die Pistole des toten Reschke.
    »Was habt ihr denn damit vor?«, fragte Emily erschrocken.
    »Ich finde, wir sollten da nicht unbewaffnet hinfahren«, erklärte Janna. »Deshalb nehmen wir die Pistole mit. Für alle Fälle.«
    »Aber wir können doch nicht schon wieder . . .«, begann Emily, wurde aber von Jannas scharfem Blick gestoppt. »Seid ihr fertig, du und Marie?«, fragte sie.
    Emily nickte und begriff: Axel wusste nichts von dem Erschossenen. Das war bestimmt auch besser so. Es war nicht notwendig, dass binnen Kurzem die ganze Stadt davon erfuhr. Vielleicht hatten sie Glück und es blieb für alle Zeiten ihr Geheimnis.
    Marie kam aus dem Bad, sie war blass. Die Küchenuhr zeigte halb fünf.
    Janna trug das Bild, das in ein altes Bettlaken gehüllt war.
    Axel nahm die Pistole vom Küchentisch und steckte sie sich in den Bund seiner Jeans.
    »Pass bloß auf, dass du dir nicht aus Versehen ein paar edle Teile wegschießt«, fauchte Janna, aber Axel schüttelte nur grinsend den Kopf.
    Draußen glänzte der frische Morgen, das Gras war taufeucht, der Mond stand blass über dem Dorf, ein paar duftige rosa Wölkchen zierten den Himmel. Doch niemand hatte einen Blick für all die Schönheit. Emily und Marie setzten sich auf die Rückbank von Frau Holtkamps Fiesta, Janna nahm mit dem Bild auf dem Beifahrersitz Platz. Axel fuhr los. Alle
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