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HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa
Autoren: Unbekannt
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Helene Hegemann
    AXOLOTL ROADKILL
    Roman
    Ullstein
    Für Lilly Sternberg
    »We love to entertain you«
    (Pro7)
    O.k., die Nacht, wieder mal so ein Ringen mit dem Tod, die Fetzen angstgequälten Schlafes, mein von schicksalsmächtigen Orchestern erbebendes Kinderzimmer und all diese Einbrecherstimmen aus dem Hinterhof, die unausgesetzt meinen Namen schreien. Kein Hauptstraßenlärm und kein Stöhnen von leidenden, sich durch Stärke und Hässlichkeit hervorhebenden Monstern, die gerade entfesselt werden. Nur die Klaviatur der absoluten Dunkelheit, das Kreischen im Kopf, dieses unrhythmische Trommeln, scheiße. Früher war das alles so schön pubertär hingerotzt und jetzt ist es angestrengte Literatur.
    Um 16 Uhr 30 wache ich orientierungslos in einen Bettbezug gewickelt auf und bin in allererster Linie von mir selber gelangweilt. Ich kauere. Irgendwie läuft mir zu Lorbeerkränzen geflochtenes Blut aus dem rechten Ohr. Vor mir leuchtet etwas auf, das ich als die Hässlichkeit der High Society entziffere: zwei Zigaretten, zwei aus hygienischen Gründen statt durch einen Geldschein durch einen Kassenbon
    gezogene Lines Ritalin, pulverisierter Parmesankäse und ein besorgniserregende Ausmaße annehmender Nervenzusammenbruch, das Ketaminloch wahrscheinlich, ich habe seit etlichen Monaten die wildesten Krebsdiagnoseträume, keine Alpträume, sondern irgendwas Tiefergehendes, wo ich dann immer schreiend erwache, weil so viele Gedanken da sind, dass man seine eigenen Gedanken gar nicht mehr von den fremden unterscheiden kann. Vor lauter mit Angstanfällen gekoppelten Magen-Darm-Exzessen will ich mich aus dem dritten Stock stürzen, schalte stattdessen jedoch RTL II ein und da läuft eine super Tiersendung. Die ist wie ein Wahnsinnsfernsehevent aufgelöst. Plötzlich steht da so ein aufgeweckter Schakal, und dann gibt es einen Gegenschuss auf die Erdmännchenherde, die in einer Totale von dem Schakal zerfleischt wird sozusagen und der Zuschauer denkt voller Liebe: Ja, diese Scheißerdmännchen sehen leider Gottes auch echt so unglaublich bescheuert aus, die haben irgendwie nichts anderes verdient, als gefressen zu werden.
    Ich kann entweder zu qualitativ hochwertigen Hardcorepornos wichsen oder zuerst auf die Fingernägel und danach in den Spiegel gucken. Meine Hautanhangsgebilde sind zu ineinander verkrusteten Ekzemen geworden und meine Wimpern brechen ab.
    In diesem Moment kehrt plötzlich wieder Stille ein.
    Ein Hauch von Gesellschaftsfähigkeit, durch den sich kein harter Track mehr bohrt, sondern ein frühsommerlicher, ernüchternder Scheißwind. Ich bin nicht in der Schule gewesen. Fünf Minuten vor der ersten großen Pause habe ich mich in Todesangst, mit Herzrasen und einem bei jedem Schritt gegen die Schädeldecke prallenden Kopfschmerz unter meine Bettdecke gekämpft, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätte denken müssen:
    Naja, gut, heute trete ich zur Abwechslung mal mit einer Tomate in Kontakt, ich muss sie schließlich von einem Schulbrot entfernen, auf das sie von einem verantwortungsbewussten Elternteil draufgelegt wurde.
    Eine Stunde nach Schulschluss stehe ich dann breitbeinig vor dem Spiegel, im leeren Fluss der Erinnerungen an das verschwitzte Lächeln der letzten Nacht und die zu eigenem Leben erwachte Kraft dieser repetitiven Tanzrhythmen.
    Ich will ein Kinderheim in Afghanistan bauen und viele Anziehsachen haben. Ich brauche nicht nur Essen und ein Dach über dem Kopf, sondern drei titanweiß ausgestattete Villen, jeden Tag bis zu elf Prostituierte und ein mich in plüschigen, güldenen Zwanziger-Jahre-Chic hüllendes Sowjet-Uniform-Kostüm von Chanel. Begriffe wie Selbsterfahrung und Borderline gibt es dann nicht mehr. Und keinen, der so tut, als würde er dich besser kennen als du selbst, denn alles, was da zählt, ist Geld. Jetzt haben wir es. Plötzlich merke ich, wie mich alle anstarren. Ich gehe, die fünfte Zigarette rauchend, auf den Balkon und saufe einfach so lange weiter, bis das Geld endlich WEG ist. Meine Existenz setzt sich momentan nur noch aus Schwindelanfällen und der Tatsache zusammen, dass sie von einer hyperrealen, aber durch Rohypnol etwas schlecht aufgelösten Vaselintitten-Installation halb zerfleischt wurde.
    Ich sage: »Sobald wir beginnen, etwas für andere als uns selbst zu tun, lösen wir uns aus dem Gefängnis in unserem Inneren. Alice hasst sich selbst, aber das ist ja das Geile, ich sehe, dass sie durchdreht und sich zunehmend selbst zerstört. Ich habe so
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