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Wald

Wald

Titel: Wald
Autoren: Mike Waechter
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wahr. Der Dolch gleitet aus ihrer Hand und fällt zu Boden. Auch als Svetopluk die Zinnen erklimmt und sich von der Mauer stürzt, als sein Körper auf die Felsen knallt, in Stücke zerrissen wird, von den Wellen des Meeres emporgerissen und für immer verschluckt, sieht sie sich nicht mehr um.
     
    Envin kriecht hinter seinem Bruder. Er spürt, dass Sidus nach seiner Waffe tastet. Da springt Envin auf und wirft sich seinem Feind an die Gurgel.
    Mit beiden Händen drückt er zu. Sidus keift. Kleine Spucketropfen hüpfen aus seinem Mund, treffen Envin ins Gesicht.
    Als Envins verletzte Hand ihren Dienst versagt, nimmt er seinen unversehrten Ellbogen und drückt die Kehle des Bruders damit zu Boden. Sein ganzes Körpergewicht verlagert Envin auf seinen Arm.
    Sidus packt ihn mit seinem Fingern. Befreien kann er sich nicht.
    Envin drückt und keucht. Er hätte nicht erwartet, dass der Todeskampf solange dauern würde, als Sidus plötzlich still wird. Seine Hände werden schlaf und fallen zu Boden.
    Zitternd tastet Envin nach ihm, spürt keinen warmen Odem mehr an Mund und Nase seines Bruders.
    Er steht auf. Hält sich seinen Arm. Seine Beine werden weich. Sein ganzer Körper fängt an sich schütteln, ohne dass er etwas dagegen unternehmen könnte.
    Dann verliert er sein Bewusstsein und stürzt auf seine tauben Knie.

»Der Drache«
     
    Als Envin wieder zu sich kommt, glüht seine Haut.
    Heiß ist der einzige Gedanke, den er denken kann. Es ist heiß, wie es heißer nicht sein könnte.
    Dann hört er das furchtbare Geräusch. Ein Schreien, ein Kreischen, ein Zittern – alles auf einmal.
    Envin erhebt sich.
    Kann es wirklich sein? Kann es wirklich der Drache sein.
    Als er den stinkenden Atem auf seiner Haut spürt, stellen sich seine Nackenhaare auf und seine Nasenhaare erbeben.
    Der Drache kommt näher. Er bläst Feuerbälle durch seine Nüstern und Envin kann wieder etwas sehen. Aber nicht mehr lange.
    Die Bestie ist nur noch wenige Schritte von ihm entfernt.
    »Komm doch her Du Mistvieh!«, brüllt Envin, reißt die Fäuste hoch und rennt los; in den aussichtslosen Kampf.
    Das Monstrum reißt das Maul auf, schnappt zu. Envin schlägt um sich. Prügelt, solange er kann.
    Aber vergeblich.
    Der Drache hat ihn.
    Ist um ihn.
    Und er ist ihn ihm.
     
    Es dauert einige Stunden, dann erwacht er ein letztes Mal in der Höhle.
    Es ist kalt.
    Er erhebt sich. Tastet seinen Körper ab.
    Wo ist er?
    Es dauert einen Moment, bis er begreift.
    Vorsichtig macht er einen Schritt voran. Sein Fuß stößt gegen die leblosen Überreste seines Bruders. Vom Drachen keine Spur.
    Es gibt keinen Drachen. Jetzt weiß er es wieder. Alles nur eine Illusion. Ein schrecklicher Alptraum.
     
    Irgendwann tritt er vor die Höhle. Der Mond reflektiert seine Strahlen im Schnee, wirft seinen Schein über den Berg. Envin läuft zu dem Bach, der aus dem Felsen fließt. Die Kehle trocken.
    Erschöpft stolpert er, sinkt vor dem Wasser auf die Knie. Als Envins Blick auf seine Hände fällt, zuckt er zusammen, verharrt. Das getrocknete Blut leuchtet auf seiner Haut. Panisch taucht er die Handflächen in das kalte Wasser.
    Innerhalb von Sekunden verfärben sich seine Lippen blau und das klare Wasser braun. Regungslos starrt er auf die Wasseroberfläche, die sanfte Wellen schlägt, die regungslosen Hände von sich geschreckt.
    Schließlich wird die dunkle Brühe hinfort gespült, sein Spiegelbild taucht auf.
    Als die Wellen sich legen, weiß er nicht, ob er nun vollständig den Verstand verloren hat, ob er Wahnvorstellungen erlegen ist.
    Aber was er sieht, kann er nicht leugnen. Es ist da.
    Er sieht seine Spiegelung im Wasser. Die ausgestreckten Hände, der geschundene Körper, der verdreckte Hals und darauf der Drachenkopf.
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