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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls
Autoren: Michael Cobley
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schleicht durch die Dunkelheit.
    »Du hast deine Sache gut gemacht«, sagt die Al. »Du bekommst eine Belohnung.«
    Ohne erkennbare Reaktion zieht Wyschkow sich ins tropfende Laub zurück und begibt sich zu einer unterhalb der Höhle gelegenen dichten Ansammlung von Bäumen.
    »Ich habe die Zeitzünder aktiviert«, sagt die Al, als er sich hinter einen ausladenden Busch hockt und den Hügel hinaufschaut. »In dreißig Sekunden wird die erste Sprengladung detonieren, die zweite drei Sekunden später. Nach weiteren fünf Sekunden werden die drei Wachposten den Ausguck erreicht haben, während weitere Personen aus der Höhle getreten sein werden. Dann werden die dritte und die vierte Sprengladung detonieren, und wenn die feindlichen Elemente kampfunfähig oder ausgeschaltet sind, wirst du die Höhle sichern …«
    In der Nähe ertönt ein lauter Knall. Wyschkow blickt nach links, gefilmt von seiner rechten Schulter aus. Ein düsteres Lächeln spielt um seine Lippen, und als er sich aufrichtet, explodiert die zweite Sprengladung.
    »Geh wieder in Deckung. So können dich die feindlichen Elemente sehen.«
    Wyschkow nimmt die Brille ab und sieht in die Schulterkamera. Sein Blick ist dunkel und stechend. Er schüttelt den Kopf und hebt die Linke mit einer halbkreisförmigen Sprengladung. Eine rasche Armbewegung, und sie fliegt in hohem Bogen in den dunklen, regennassen Wald.
    »Du hast den Einsatzplan sabotiert. Du wirst bestraft werden. Kehre zum Schiff zurück …«
    Eine weitere Explosion. Es blitzt am Felsenhang und gleichzeitig im Wald. Brennendes Laub wird hochgeschleudert. An der Höhlenmündung, aus der Gestalten mit Fackeln herausgerannt kommen, geschieht nichts.
Wyschkow sieht sie und klettert den Hügel hoch. Er kommt drei Schritte weit, dann krümmt er sich vor Schmerzen, geht in die Knie, fällt auf die Seite. Die Schulterkamera zeigt sein schmerzverzerrtes Gesicht und den zum Schrei geöffneten Mund, doch kein Laut kommt heraus, nur ein Keuchen.
    »Gehorche! Geh zum Schiff zurück, oder du wirst ausgeschaltet!«
    Lautlos die Zähne fletschend, schüttelt Wyschkow den Kopf und kriecht den grasbestandenen Hang hoch. Die Perspektive wechselt zur Flugkamera, die über dem Waldrand schwebt und die leuchtende Gestalt am Hang zeigt. Am rand wabert hellblau die Explosionswärme, und man hört Rufe und einen Hilfeschrei. Als die Flugkamera auf Wyschkow zoomt, wird das von einer Zielerfassung überlagert, einem roten Dreieck, das über dem Hinterkopf des Mannes zur Ruhe kommt. Im nächsten Moment ruckt die Kamera zur Seite. Als das sich wieder stabilisiert, rührt Wyschkow sich nicht mehr.
    Ende des Video-Files.
     
    Kommentar II: Wir wissen anhand der schriftlichen Aufzeichnungen von Olsson und anderen, dass die Bord-Al kurz nach der Notlandung des Schiffes mehrere Decks mit Betäubungsgas geflutet hat. In den Wochen vor der Landung begannen bestimmte untergeordnete Bordsysteme unregelmäßig zu arbeiten oder fielen ganz aus. Wie der Video-File zeigt, hat die Al in der Folge neuronale Implantate eingesetzt, um aus dem Kryoschlaf aufgeweckte Kolonisten im Kampf gegen diejenigen Menschen einzusetzen, die in den Wald geflohen waren.
    Alles in allem macht das auf mich nicht den Eindruck eines raffinierten Masterplans einer Maschinenintelligenz, die es darauf angelegt hat, alle Menschen an Bord der Hyperion zu versklaven. Weshalb hätte sie sich in den vorangehenden Wochen verraten sollen? Weshalb hat sie das Gas nur in bestimmten Bereichen des Schiffes eingesetzt und nicht auf allen Decks? Ja, weshalb hat sie nicht alle an Bord vergast, bevor der Orbit von Darien erreicht wurde? Und weshalb hat sie ein Programm der erzwungenen Cyborgisierung durchgeführt, anstatt mit Hilfe der Fertigungsanlagen
der Hyperion zahllose Luft- und Bodendrohnen herzustellen? Weshalb waren die Sicherheitsvorkehrungen an Bord so lückenhaft, dass Wyschkow einen Sprengstoffdummy auf seinen Einsatz mitnehmen konnte? Vor allem aber stellt sich die Frage, wie Wyschkow sich mit Tinte eine Skizze der Schwachpunkte des Schiffes auf die Brust zeichnen konnte.
    Dieses Verhalten deutet eher auf eine Reihe zusammenhangloser Entscheidungen voller blinder Flecken hin, hervorgerufen von einer fehlerhaften Programmierung, als auf den bösartigen Plan einer unbekannten Macht. Die Als, welche die Hyperion und deren Schwesterschiffe steuerten, entsprachen dem damaligen Stand der Technik. In den dunklen Zeiten des Schwarmkriegs waren die Ressourcen knapp, das
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