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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls
Autoren: Michael Cobley
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Vorgehen war übereilt, und die Verfahren wurden abgekürzt. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass dabei Fehler in der Obhuts- und Schutzheuristik übersehen wurden, was die schrecklichen Folgen zeitigte, die dazu führten, dass die Kolonie in den ersten Jahrzehnten unter Mangelernährung, Krankheiten und Hoffnungslosigkeit zu leiden hatte.
    Außerdem wurde unsere wissenschaftliche Entwicklung davon beeinträchtigt. Die kollektive Erinnerung an den Kampf gegen die Bord-Al und deren Sklaven war so stark, dass sie eine Vermenschlichung und Dämonisierung künstlicher Intelligenz und das Verbot der Al-Forschung zur Folge hatte. Daher lautet meine Empfehlung an die Betrachter dieser Aufzeichnung, sie nicht als Beispiel für die zielgerichtete Strategie einer dämonischen Wesenheit aufzufassen, sondern als Verdeutlichung der Folgen einer fehlerhaften Programmierung und nichts weiter. - J. K.

TEIL EINS

1 Greg
    Das Lohig, das unermüdlich ihren Karren zog, war ein fremdartiges insektenartiges Wesen von über zwei Metern Länge, dessen kupferfarbener Panzer mit blauen Diamanten und Sternen gemustert war. Zunächst hatten er und Kao Chih Sorge gehabt, das Tier könnte unter ihrer unsachgemäßen Behandlung leiden, doch die Erklärungen des Halters hatten sich als ausgesprochen wertvoll erwiesen, so dass das Tier keinen Hunger und auch sonst keinen Mangel litt. Kao Chih hatte das Tier sogar in sein Herz geschlossen, fütterte es mit belaubten Zweigen und redete leise auf Mandarinchinesisch darauf ein. Er hatte ihm sogar einen Namen gegeben, T’ien Kou, was Himmelshund bedeutete. Greg war versucht, das Lohig »Rover« zu nennen, hielt sich aber zurück.
    Seit drei Tagen waren sie unterwegs nach Belskirnir, einer Trappersiedlung im Arawn-Wald, einem ausgedehnten, dichten Dschungel, der sich nördlich und östlich der Kentigernberge ausbreitete und eine Fläche von über zweieinhalbtausend Quadratkilometern des Hinterlands bedeckte. In den letzten anderthalb Tagen waren sie unter dem dicht verwobenen Blätterdach über üppige Lichtungen und durch feuchte Täler marschiert, Heimat der zahllosen fliegenden, springenden und kriechenden Lebewesen Dariens. Nun aber dämmerte der Abend, und sie führten das Lohig durch eine Senke mit bemoosten Findlingen und machten sich allmählich Gedanken über das Nachtlager.

    »Ich glaube, bis nach Belskirnir ist es nicht mehr weit«, sagte Greg, »aber vor Einbruch der Dunkelheit werden wir es nicht mehr erreichen.« Er zeigte auf einen mächtigen Baum, dessen Stamm sich um einen großen Felsen krümmte und dessen Geäst ihnen Unterschlupf bieten würde. »Das wäre ein guter Lagerplatz. Was meinst du?«
    Kao Chih musterte die Stelle. »Bequem sieht es aus, Gregory, aber es ist noch immer recht hell - sollten wir nicht noch ein Stück weitergehen, damit wir es morgen nicht mehr so weit haben?«
    Greg zuckte die Achseln und wollte gerade etwas erwidern, als im dichten Wald auf einmal Schüsse ertönten. Maschinengewehre ratterten, Kugeln schlugen in den Wagen ein, Holzsplitter flogen umher, Blätter und Zweige wurden von Büschen abgerissen. Greg hechtete in Panik ins Unterholz und suchte Deckung hinter einem großen umgekippten Felsen. Er zog seine Waffe, eine Pistole Kaliber 35, in deren Handhabung Rory ihn gründlich unterwiesen hatte, und erwiderte das Feuer mit ein paar ungezielten Schüssen. Erst dann wurde ihm bewusst, dass er nicht wusste, wo Kao Chih sich befand, ob er im Gebüsch an der anderen Seite des Weges verschwunden oder nach vorn gerannt war. Greg wollte gerade seinen Namen flüstern, als von links und rechts Rufe ertönten und sich Schritte näherten.
    Die Jäger wurden langsamer, und eine unheimliche Stille legte sich über die Lichtung. Die Sekunden verstrichen, und von Kao Chih war nichts zu hören und zu sehen. Stattdessen erhaschte Greg einen Blick auf einen seiner Verfolger, einen stämmigen, bärtigen Waldbewohner mit harten, stechenden Augen, die von einem zerschlissenen, breitkrempigen Hut beschattet waren. Da Greg annahm, dass die Männer, die er nicht sehen konnte, noch
näher waren, sagte er sich, es sei höchste Zeit, von hier zu verschwinden.
    Hinter dem großen, gekippten Felsen verbarg dichtes Unterholz einen Hang, der zu einem Grat mit einer dahinter liegenden Senke hochführte, an der sie zuvor vorbeigekommen waren. Er kroch nach oben. Hinter dem Grat lag ein steiler Hang mit vereinzeltem Gebüsch und daraus hervorragenden Felsen, der sich zu einem breiten,
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