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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls
Autoren: Michael Cobley
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aufweckte, wurden Neurogeräte implantiert, die Schmerzempfindungen auslösen konnten und die betroffenen Personen zwangen, gegen die Schiffsbesatzung vorzugehen, die in einigen Kilometern Entfernung ein Lager errichtet hatte.
    Die Bezeichnung des ersten Video-Files lautet »Toleranztest Bioeinheit« und zeigt einen der reaktivierten Kolonisten, der auf einer Liege festgeschnallt ist und immer stärkeren Schmerzen ausgesetzt wird, bis er stirbt. Der zweite File mit der Bezeichnung »Implantatvariante 3, Feldversuch« zeigt eine weibliche Kolonistin, die fremdgesteuert außerhalb der Hyperion ein bewusstloses Besatzungsmitglied birgt, das bei dem Versuch, sich Zugang zum Schiff zu verschaffen, verletzt wurde. Der Schmerz oder vielmehr die Erinnerung an den Schmerz reicht aus, um die Kolonistin gefügig zu machen, auch dann noch, als das Besatzungsmitglied zu Bewusstsein kommt und erfolglos zu fliehen versucht. Diese beiden Aufzeichnungen enthalten entsetzliche, verstörende Szenen der Folter und des Zwangs, weshalb die Institutsverwaltung beschlossen hat, den Zugang zu den Files zu beschränken.
    Der dritte Video-File betrifft jedoch Andrej Wyschkow, dessen tragischheroische Geschichte jedermann kennt, und zeigt den Ablauf realer Ereignisse. Die Institutsverwaltung glaubt, dass die historische Bedeutung des Files schwerer wiegt als der Respekt vor Wyschkows Leiden, und hat ihn daher mit Einwilligung von Wyschkows Familie für volljährige Betrachter freigegeben.
    Wir hoffen, in nächster Zeit den Kern des Betriebssystems der Maschinenintelligenz, den am stärksten verschlüsselten Speicherbereich, knacken und offenlegen zu können, welche Erfordernisse oder Befehle sie dazu veranlassten, sich gegen die Menschen zu wenden, die sie eigentlich schützen sollte. Bis dahin sollten Studenten und andere Betrachter aufmerksam die folgende Aufzeichnung studieren und sich vergegenwärtigen, welche Art von Sklaverei uns allen zugedacht war - Y. D.

    Dunkle Schatten, die sich bei Nacht durchs Laubwerk bewegen. Das Plattern des Regens, das Muster der ins Unterholz fallenden Tropfen, das Rauschen des Winds in der Höhe und Atemgeräusch. Dem schwankenden nach zu schließen, ist die Kamera am Oberkörper einer Person befestigt. Dann wechselt die Perspektive, und man sieht von einem erhöhten Standpunkt aus Bäume und Gebüsch, die aufgrund der Restlichtverstärkung bläulich-grau dargestellt werden, während ein Mann, der sich durch den Wald bewegt, aufgrund seiner Körperwärme als heller Schemen angezeigt wird. Die Luftkamera folgt ihm einen Moment, dann weicht sie zurück und schwenkt über die Baumkronen hinweg zu einer felsigen Erhebung, die aus dem bleichen Dickicht aufragt, ein dunkelblauer, von geisterhaftem Gebüsch umstandener Hügel. Die Kamera zoomt auf die beiden Bewacher der Erhebung, rastlose helle Silhouetten.
    »Gehe zu Position A und bringe die erste Sprengladung an«, sagt die Al. »Bestätigung.«
    Nun sieht man das Gesicht des Mannes von dessen rechter Schulter aus. Es ist Andrej Wyschkow, der eine Nachtsichtbrille trägt. Er öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen, doch man hört nichts. Stattdessen verzieht er das Gesicht, tiefer Frust zeichnet sich darin ab. Das wechselt, diesmal sieht man den Mann von der linken Seite. Er nickt und geht weiter zwischen den Bäumen hindurch. Die Regentropfen, die durchs huschen, gleichen kleinen schwarzen Perlen. Minuten später erreicht Wyschkow die bewachte Erhebung und wendet sich nach links, wobei er auf seine Deckung achtet. Die Flugkamera zeigt ihn dabei, wie er sich unbemerkt einer steil aufragenden Felswand nähert und einen faustgroßen Gegenstand daran befestigt. Dann zieht er sich lautlos ins Gebüsch zurück.
    »Gehe zu Position B und bringe die zweite Sprengladung an.«
    Ein Kopfnicken.
    Die zweite Sprengladung wird an der linken Seite der Felserhebung angebracht, unterhalb eines großen Überhangs. Die dritte wird dort angebracht, wo sich der Trampelpfad, den die Wachposten angelegt haben, zu einer Reihe von natürlichen Felsstufen hin absenkt. Der Weg führt an einem unregelmäßig geformten Grat entlang zu einem buschbestandenen
Hang, wo drei bewaffnete Männer den Eingang einer Höhle bewachen. Die vierte und letzte Sprengladung soll am Hang oberhalb der Höhle angebracht werden, was sich als besonders schwierig erweist, obwohl durch den Regen leisere Geräusche überdeckt werden. Als sie dennoch im Erdreich vergraben ist, zieht Wyschkow sich zurück und
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