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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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dann machte ich ihn wieder zu. Als Zehnjähriger in Eau Claire hatte ich einmal ein Comicheft aus dem Drehständer im Drugstore geklaut, es vorn in meine Jeans gesteckt und mein T-Shirt darübergezogen. Als ich zur Tür hinausging und mir sehr clever vorkam, hielt eine Verkäuferin mich am Arm fest. Mit der anderen Hand hob sie mein T-Shirt hoch, sodass mein unrechtmäßig erworbener Schatz sichtbar wurde. »Wie ist das da reingekommen?«, fragte sie mich. In den vierzig Jahren seit damals war ich nie wieder so restlos verlegen um eine Antwort auf eine einfache Frage gewesen.
    Endlich - lange nachdem diese Antwort irgendein Gewicht haben konnte - sagte ich: »Das ist lächerlich. Ich weiß echt nicht, wie sie auf diese Idee kommt.«
    »Nein?«
    »Nein. Wollen Sie wirklich kein Cola?«
    »Danke, ich passe lieber.«
    Ich stand auf und holte mir ein Cola aus dem Kühlschrank in der Küche. Ich klemmte die Flasche zwischen Armstumpf und Brustkorb ein - möglich, aber schmerzhaft, ich weiß nicht, was Sie vielleicht im Kino gesehen haben, aber gebrochene Rippen tun verdammt lange weh - und drehte den Verschluss mit der linken Hand auf. Ich bin Linkshänder.Wenigstens einmal Glück gehabt, muchacho , wie Wireman sagt.
    »Es überrascht mich, dass Sie sie überhaupt ernst nehmen«, sagte ich, als ich zurückkam. »Kathi ist eine verdammt gute Physiotherapeutin, aber ein Seelenklempner ist sie nicht.« Ich machte eine Pause, bevor ich mich hinsetzte. »Sie genau genommen auch nicht. Nicht auf dem Papier.«
    Kamen legte eine Hand hinter sein Ohr, das ungefähr die Größe einer Schreibtischschublade zu haben schien. »Höre ich da... ein verräterisches Knarzen? Ich glaube, das tue ich!«
    »Wovon reden Sie überhaupt?«
    »Von dem bezaubernd mittelalterlichen Geräusch, wenn jemand seine Abwehr hochfährt.« Er versuchte ironisch zu blinzeln, aber die Gesichtsgröße dieses Mannes machte Ironie unmöglich; ihm stand nur Burleske zu Gebot. Trotzdem verstand ich, was er meinte. »Was Kathi Green betrifft, haben Sie recht, was weiß sie schon? Sie arbeitet nur mit Querschnittsgelähmten, Quadriplegikern, nach Unfällen Amputierten wie Ihnen und Leuten, die sich von traumatischen Kopfverletzungen erholen - wieder wie Sie. Seit fünfzehn Jahren macht Kathi Green diese Arbeit, sie hat Gelegenheit gehabt, tausend verkrüppelte Patienten dabei zu beobachten, wie sie darüber nachdenken, dass sich keine einzige Sekunde Zeit zurückholen lässt, wie sollte sie also imstande sein, die Anzeichen für eine zum Selbstmord führende Depression zu erkennen?«
    Ich setzte mich in den klumpigen Sessel gegenüber der Couch - wie immer linkslastig, um meine Hüfte zu schonen - und starrte ihn mürrisch an. Er bedeutete Ärger. Und Kathi Green erst recht.
    Er beugte sich nach vorn... aber bei seinem Körperumfang schaffte er nur eine Handbreit. »Sie müssen noch warten«, sagte er.
    Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Das hatte ich zuallerletzt erwartet.
    Er nickte. »Sie sind überrascht. Ja. Aber ich bin kein Christ, erst recht kein Katholik, und in Bezug auf Selbstmord denke ich sehr offen. Trotzdem glaube ich an Verantwortung, und ich sage Ihnen eines: Wenn Sie sich jetzt umbringen - oder auch erst in einem halben Jahr-, wissen Ihre Frau und Ihre Töchter Bescheid. Auch wenn Sie es noch so clever vertuschen, wissen sie, dass es Selbstmord war.«
    »Ich habe nicht...«
    Er hob eine Hand. »Und die Gesellschaft, bei der Ihr Leben versichert ist - bestimmt auf eine sehr hohe Summe -, die weiß auch Bescheid. Sie kann es vielleicht nicht beweisen... aber sie wird es sehr, sehr intensiv versuchen. Die Gerüchte, die sie dabei in die Welt setzt, werden Ihre Kinder verletzen, auch wenn Sie sich vielleicht einbilden, dass sie gegen solche Dinge gut gepanzert wären.«
    Melinda war gut gepanzert. Bei Ilse sah die Sache jedoch anders aus. Wenn Melinda wütend auf Illy war, bezeichnete sie sie als stehen geblieben, aber das stimmte nicht. Für mich war Illy immer nur zart besaitet.
    »Und zuletzt gelingt es ihr vielleicht sogar.« Er zuckte mit seinen gewaltigen Schultern. »Ich möchte nicht darüber spekulieren, wie viel solche Ermittlungen kosten würden, aber ich weiß, dass der Schadenersatz einen großen Teil Ihres angesammelten Vermögens aufzehren könnte.«
    Ich dachte nicht einmal an das Geld. Ich dachte an ein Team aus Versicherungsdetektiven, das unter die Lupe nahm, was immer ich arrangiert hatte. Und plötzlich fing ich an zu
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