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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier
Autoren: Graham Swift
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Farm geboren, in dem großen Schlafzimmer, wo eine unerschrockene Hebamme Geburtshilfe leistete. AberTom wurde aus dem Krankenhaus in Barnstaple nach Hause gebracht, zusammen mit Vera, die noch mitgenommener aussah als das Baby. Doch, das spielte eine Rolle.
    Jedenfalls, nachdem Tom angekommen war, hatte Jacks Mum eine bestimmte Art, Jack von Zeit zu Zeit zur Seite zu nehmen, in eine kleine private Ecke   – obwohl es normalerweise in der Küche war oder an warmen Tagen im Hof, also keineswegs im Verborgenen. Trotzdem hielten sein Dad und auch Tom, als er etwas älter war, respektvoll Abstand, als hätte Vera eine entsprechende Anweisung gegeben. Wenn Jack von seiner Mutter so zur Seite genommen wurde, begriff er auf geheimnisvolle Weise   – auch als er erst neun oder zehn war   –, dass sie beide ein Erwachsenengespräch führten, von der Art, wie man es im Leben führen sollte, ein Gespräch, das man gewissermaßen jederzeit fortsetzen konnte und das tatsächlich über die Jahre andauerte, bis seine Mutter krank wurde und starb. Und er begriff, dass dieses Gespräch mit etwas zu tun hatte, woran er sonst nur selten dachte und worüber er schon gar nicht sprach: seine Zukunft und die Verantwortung, die sie mit sich brachte. Oder, anders ausgedrückt, sein Name.
    Denn der bedeutete etwas, wenn man wie er auf einer Farm geboren war: der Name. Die Generationen, die hinter und vor einem lagen, wie die Hügel ringsum, in welche Richtung man auch blickte. Und warum sonst hatte seine Mutter ihn zur Welt gebracht, wenn nicht, damit er sein Geburtsrecht wahrnehmen konnte? Etwas, das sein Vater aus welchem Grund auch immer   – obwohl es
sein
Name war   – niemals fertigbrachte. Einen solchen Moment hatte es mit ihm nie gegeben.
    Doch ohne Veras Rückendeckung und von der Rinderseuche verschandelt, war das Geburtsrecht dann auch nicht mehr viel wert gewesen.
    Was immer das vermeintliche Thema dieser Gespräche, die Essenz war, so schien es Jack, immer die gleiche: sein Geburtsrecht. Dass er sich um Tom, der immer der Winzling und Nachzügler sein würde, keine Sorgen zu machen brauchte. Dass er den ihm zustehenden Platz einnehmen und seine Aufgabe antreten solle.
    Als er älter wurde und anfing, seinen Vater zu überragen und aus dem Anzug von Burton’s herauszuwachsen, machte Vera manchmal Tee, nur für sie beide. Er rauchte dann eine Zigarette. Wenn er seinen Becher absetzte, füllte sie ihn ohne zu fragen auf. Damals wusste er nicht, wie sehr er das eines Tages vermissen würde   – die Fältchen an ihrem Handgelenk, wenn sie die Teekanne hielt und mit einer Hand den Deckel festdrückte und seinen Becher auffüllte, nur für ihn   –, und als es ihm bewusst wurde, hätte er es nicht in Worte fassen können.
    Und später, als sie tot war, kam ihm der Gedanke, dass eine andere Essenz, vielleicht die eigentliche Essenz dieser Gespräche, genau das war. Dass sie ihm nämlich hatte sagen wollen, sie würde nicht immer da sein. Das war es vielleicht, was sie vermitteln wollte   – und er hatte mit seinen befremdlichen Gefühlen ganz recht gehabt   –, als sie ihm das erste Mal von Tom erzählte: sie würde vielleicht eher, als man vermuten könnte, nicht mehr da sein.
    Sie war eine bessere Luxton, könnte man sagen, als die Luxtons selbst. Als sie starb, schien es, als wäre das ganze Muster verloren gegangen. Dabei war ihr Name vorher Newcombe gewesen, und bis zu ihrem neunzehnten Lebensjahrwusste sie nichts vom Leben auf einer Farm. Sie war die Tochter eines Postamtsvorstehers. Eines Tages hatte Michael Luxton sie aus dem Postamt in Polstowe weggeholt und zur Jebb Farm getragen, und es schien, dass nichts ihren Hoffnungen und Wünschen besser hätte entsprechen können.
    So ungefähr musste es gewesen sein. Die wahre Geschichte kannte Jack nicht, auch aus dem Munde seiner Mutter nicht. Seine eigene Liebschaft mit Ellie Merrick schien ihm da keine nützliche Richtlinie, aber er fand es schwierig und in gewisser Weise eine Art Übertretung, sich vorzustellen, dass sein Vater, ausgerechnet sein Vater, seine mit den Beinen strampelnde Mutter über die Schwelle der Jebb Farm getragen haben sollte, oder vielleicht sogar, ohne innezuhalten, auf direktem Wege ins große Bett   – in dem er, Jack, zwei Jahre später zur Welt gekommen war und in dem Vera Luxton einundzwanzig Jahre darauf sterben sollte.
    Manchmal erlaubte er sich den dreisten Gedanken, dass die Sache mit dem Geburtsrecht möglicherweise auch in
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