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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier
Autoren: Graham Swift
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laufendem Motor. Einen Streit im Anzug. Vielleicht wären sie sogar mit Fäusten aufeinander losgegangen, hätten sich Schläge versetzt, die sie seit Jahren angehäuft hatten. Und die ganze Zeit hätte sein Vater die Tapferkeitsmedaille in der Tasche gehabt.
    Früher, wenn sie ins Crown gingen, war gewöhnlich jemand dabei gewesen, der fragte, so als wäre er zu diesem Zweck in ihre Runde gesetzt worden: »Und   – hast dusie dabei, Michael?« Und sein Vater, auf dem Hocker an der Bar mit einem Blick, als hätte er nichts gehört, oder sogar, als wäre er von der Frage insgeheim verärgert, trank sein Bier und blies den Rauch aus dem Mund, und erst, wenn man dachte, der Moment sei verstrichen, schob er die Hand in die Brusttasche, zog sie wieder raus und hielt etwas Rundes umschlossen. Und erst, wenn wieder ein paar Minuten vergangen waren und er weiter die Luft vor sich angestarrt hatte, machte er die Hand auf, nur einen Augenblick lang, über dem Tresen, und dann steckte er die Medaille wieder an ihren Platz. Es war eine Vorführung, die seinem Dad lag und die ihre alljährliche Wiederholung wert war. Ein unsentimentaler Milchbauer, aber imstande (obwohl Jack nicht auf dieses Wortspiel gekommen wäre), eine Situation zu melken.
    Die Lichter im Crown. Er sieht sie vor sich. Ein grauer Novembertag. Die niedrigen Balken. Poppys und Anzüge. Ein schwacher Geruch von alten Kleiderschränken und Mottenkugeln. Das Bier, das außen an den Gläsern runterläuft, alles geduckt und funkelnd. Dann, einen Moment lang, das zusätzliche Funkeln. Der Ruhm der Luxtons.
    »Halt an, Dad. Ich will dir ein Bier spendieren.« So einfach. Und doch so, als wollte man Berge versetzen.

3
    Was würde seine Mum denken? Das ist immer Jacks Richtschnur gewesen, der Schrei in seinem Innern.
    Als Jack einundzwanzig war und Tom dreizehn, starb Vera Luxton an Eierstockkrebs. Vielleicht hatten Jacks Erfahrungen mit Kühen und Kälbern ihn besser als andere junge Männer in dem Alter dafür gerüstet zu erfassen, was das bedeutete, aber ohne Zweifel war es ein Ereignis, das alles veränderte, wie ein historischer Einschnitt. Die BS E-Geschichte kam später, sie war das eine, ein Killer in jeder Hinsicht, aber von dem Moment an, als Vera starb, ging es, wie Jack sagte, bergab. Michael war für die Farm zuständig, aber Vera hatte die Oberaufsicht geführt und war in gewisser Weise der Mittelpunkt gewesen, um den sich alles Geschehen drehte. Wenn Michael und die Kinder   – das bezog auch den kleinen Tom mit ein   – es damals nicht gewusst und erkannt hatten, dann wussten sie es jetzt.
    Hinter dem versteinerten Gesicht, das sein Dad der Welt zeigte, war er, wie Jack wusste, am Taumeln. Es gab manches, das Jack durchschaute   – oder was bei ihm auch so war. Auch er hatte ein Gesicht wie eine Mauer, auch er taumelte. So versuchte er sich abzusichern: das Gegebene hinzunehmen und weiterzutaumeln, nach außenhin stark oder einfach stur zu wirken und innerlich zu taumeln. Er war genau wie sein Vater. Andererseits (und sein Vater wusste das) war er immer seiner Mum näher gewesen, viel näher als Tom es je war, der mit seinem Erscheinen acht Jahre nach Jack alle überrascht hatte.
    »Hättest du gern einen kleinen Bruder, Jack?«
    Seine Mutter sah ihn mit einem fremden, ernsten und dabei flehenden Blick an, als brauchte sie (damals war er ja erst sieben) seine ernsthafte, männliche Hilfe.
    »Ich habe nämlich das Gefühl«, sagte sie, »dass du einen bekommst.«
    Ihm schien es so, als würde sie irgendwie davonschweben, sich vielleicht sogar verabschieden, und dies war eine Art Entschädigung. Aber wie hätte er, so wie sie ihn ansah, etwas anderes als Ja sagen können?
    Erst später kam er zu dem Schluss   – oder er entwickelte die Theorie   –, dass Tom nicht vorgesehen war. Er war ein Risiko. Seine Mutter hatte in dieser Hinsicht Probleme. Mit ihm hatte sie, wie er vage wusste, eine schwierige Schwangerschaft gehabt. Aber er hatte auch begriffen, dass sie der Meinung gewesen war, es sei den Versuch wert. Bei Tom ging es ihr noch schlechter, wie sich herausstellte. Hatten er und sein Bruder zusammen, so überlegte Tom manchmal, ihr den Krebs gegeben?
    Aber er, Jack, war ein echtes Wunschkind gewesen. Tom hingegen eine Überraschung, wie es schien, und dazu eine große Gefahr für seine Mutter. Vielleicht spielte das eine Rolle. Es führte dazu, dass er Tom niemals als Konkurrenten betrachtete   – im Gegenteil. Jack war auf der Jebb
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