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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
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Patty war beängstigend perfekt, noch mehr aus dem Ei gepellt als meine Mutter, mit einem Teint wie aus der Airbrushdüse und Haaren wie eine Plastikskulptur. Sie gab mir das Gefühl, zwölf zu sein.
    Mein Zuhause war nicht mein Zuhause. Unicorn Estates selbst hatte sich natürlich nicht sehr verändert. Manche Dinge dümpeln einfach über Jahrzehnte nach einem vorgegebenen Muster vor sich hin, und Unicorn Estates war so ein Fall. Doch ich hatte nie das Gefühl gehabt, dorthin zu gehören. Unicorn war kein Ort, an den man »gehörte«.

    Nominell war Unicorn Estates ein Wohnblock mit Eigentumswohnungen, aber von der Sorte, neben der durchschnittliche Wohnungen sich verstecken müssen. Meine Eltern hatten ihn erbauen lassen, als ich sieben war, bald nachdem das UniCorp-Gebäude errichtet und in Betrieb genommen worden war und die Stadt ComUnity darum herum aus dem Boden zu schießen begann. Eigentlich war es weniger ein Wohnkomplex als eine riesige Villa, die viele große und geräumige Wohnungen beherbergte.
    Die Bevölkerungsexplosion in meiner Kindheit hatte dazu geführt, dass der Besitz von eigenen großen Häusern untersagt wurde. Die Regierungen kontrollierten Wohnraum und freie Grundstücke streng. Doch die Reichen wollten dennoch ihr eigenes luxuriöses Heim besitzen, und so bot Unicorn zwar separate Wohnungen, aber zugleich jegliche Annehmlichkeiten wie ausgezeichnete Köche, Hallenbäder und Freiluftpools, Dampfbäder, Saunen, Billiardzimmer, Ballsäle, Ställe und Tennisplätze, Fitnessräume, private Theater, einfach alles, ohne dass man sich selbst um die Instandhaltung kümmern musste. Brens Eltern betrieben die Anlage jetzt. Bevor ich in Stasis versetzt wurde, hatte meine Mutter sie verwaltet, während Daddy seine Zeit bei UniCorp verbrachte. Alles kam mir sehr bekannt vor.
    Nur unsere alte Wohnung, in der ich nun wieder wohnte, war ganz anders. Barry und Patty hatten keine Veranlassung gesehen, sie zu renovieren, aber sie hatte mehrfach die Besitzer gewechselt, seit meine Mutter sie nach ihrem Geschmack eingerichtet hatte. Mom hatte Pastelltöne und Cremeweiß bevorzugt, sodass mein Zuhause eine Art weiße Leinwand für mich gewesen war, auf die ich malen konnte, was immer ich sehen wollte. Jetzt war der größte Teil der Wohnung in Erdtönen gestrichen, und die strengen, harten Linien hatte man zu
einer entspannteren, gemütlicheren Atmosphäre abgerundet. Mir gefiel der Kunstgeschmack der vorigen Bewohner. Wer sie auch waren, sie hatten eine Vorliebe für große, surrealistische Landschaften im Stil Dalís und kleine, ausgefallene Porträts von historischen Gestalten wie Nehru und Van Gogh gehabt. Die Bilder erinnerten mich an einige meiner eigenen Arbeiten. Kurzum, ich mochte die Wohnung, aber es war nicht mehr die, in der ich mit meiner Mutter und meinem Vater gelebt hatte.
    Als ich zum ersten Mal mein Zimmer betrat, brach ich jedoch beinahe in Tränen aus. Wenn mein Leben sich schon derart radikal verändert hatte, wenn meine alte Welt tot war, sollte wenigstens alles anders sein. Vielleicht konnte ich abstreifen, wer oder was ich vorher gewesen war, und ein ganz neuer Mensch werden. Das versuchte ich mir jedenfalls einzureden.
    Aber als Barry und Patty die Tür zu meinem ehemaligen Reich öffneten, wurde ich schockartig in das Leben zurückversetzt, das ich so sorgfältig aus meinen Gedanken verbannt hatte. Auf einmal wurde ich gezwungen, mich daran zu erinnern, wer ich war. Und das tat weh.
    Mein Zimmer sah genauso aus wie früher. Fast. Ich fragte mich, ob sie in irgendeinem Computerarchiv ein Foto davon gefunden hatten, denn es war wirklich fast identisch mit dem von vor sechzig Jahren. Ein paar feine Unterschiede gab es – das Muster des Läufers war anders, das Design der Möbel auch ein wenig –, aber auf dem Bett in der Ecke lag eine Tagesdecke mit Rosenknospen, genau wie meine damals. Sogar ein Druck von Monets Seerosen hing an der Wand, wenn es auch ein anderes Bild aus der Serie war.
    Es tat richtig weh, es zu sehen, auf meinem rosaroten Teppichboden zu stehen, zu Monets Seerosen hinaufzuschauen und zu wissen, dass nicht Mom oder Daddy oder Xavier hinter
mir stehen würden, sobald ich mich umdrehte, sondern Patty und Barry und Guillory, die mich beobachteten, als wäre ich eine Naturdoku. Dann kam die Sonne hinter den Wolken hervor, und mein Blick wurde von einer kleinen, aber wunderbaren Neuerung angezogen, einem Gegenstand, der vorher nicht da gewesen war. Vor dem Fenster hing
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