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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
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Kind konnte er mir das Herz zerreißen.
    Da gab es diese Szene, als er fünf war und ich gerade aus einer Stasis von ein paar Monaten kam. Ich konnte zu der Zeit nicht viel älter als zehn gewesen sein. Ich ging hinaus in den Garten. Xavier und seine Mutter waren auch dort — die Mutter arbeitete an irgendeinem Projekt, und er spielte mit einem Haufen Stöckchen. Es war furchtbar hell draußen, und ich hatte eben erst meine Stase-Röhre verlassen. Meine Augen mussten sich erst wieder an das Tageslicht gewöhnen. Ich überlegte gerade, wieder hineinzugehen, als ich von einem knappen Meter unbändiger Energie umgerannt wurde.

    »Rose!«
    Blinzelnd starrte ich auf diesen Wirbelwind aus blonden Haaren und Sommersprossen, das einstige Kleinkind, mit dem ich gespielt hatte, bevor ich in Stasis versetzt wurde. »Xavy?«
    »Rose, Rose, Rose!« Xavier tanzte um mich herum und sang dabei meinen Namen. »Rose, Rose, Rose!«
    Mrs. Zellwegger sah von dem Gartentisch auf, an dem sie mit ihrem Pad-Computer arbeitete. »Sieht aus, als hättest du einen Fan«, sagte sie abwesend und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
    So groß, wie Xavier geworden war, wunderte es mich, dass er sich überhaupt an mich erinnerte. »Na so was«, sagte ich zu ihm. »Du bist aber gewachsen.«
    »Ich bin jetzt schon fünf!«, sagte er stolz.
    »Tatsächlich?« Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich diesmal in Stasis geblieben war, aber ich wusste, dass er erst vier war, als ich zuletzt mit ihm gespielt hatte. Da hatte er sich noch nicht richtig ausdrücken können; was er sagte, war schwer verständlich, und er sprang oft von einem Thema zum anderen, sodass ich ihm nicht richtig folgen konnte. Ich hatte mit ihm gespielt wie mit einem Hündchen, hatte mich hinter Bäumen versteckt und war über den Rasen getollt.
    »Ich hab im Juni Geburtstag gehabt, und jetzt bin ich fünf Jahre alt, und im September komme ich in die Schule!«
    »Tatsächlich?«, wiederholte ich.
    »Guck mal, was ich hab! Guck mal, was ich hab!«, verlangte er und zog mich am Arm. Ich folgte ihm belustigt, als er mich über den Rasen zu einem kleinen Berg Spielsachen unter einem Baum führte. »Das habe ich zum Geburtstag bekommen. Es ist eine Schatzkiste.« Im Gras stand eine Spielzeug-Piratentruhe aus plastiniertem Holz mit einem Totenkopf als Schlüsselloch. Er öffnete sie und überhäufte mich mit Schätzen.

    Xavier hatte all seine Lieblingssachen in die Truhe getan, und nun musste ich mich hinsetzen, und er fing an, sie in meinem Schoß aufzutürmen. Er prahlte mit seinem neuen Alphabet-Computerspiel und seiner Monsterpuppe mit »fünf scharfen Zähnen! Fünf, so wie ich!«. Dann kamen eine Schachtel Buntstifte, ein komisch geformter Stock und eine Feder, und das alte Handy seiner Mutter, kaputt zwar, aber er konnte so tun, als ob, und ein Gummifisch und »Rose, warum weinst du?«.
    Ich blinzelte. »Ich weine nicht richtig«, sagte ich und wischte mir die tränenden Augen. »Die Sonne ist nur zu grell für mich. Meine Augen tun ein bisschen weh, deshalb tränen sie.«
    Xavier musterte mich einen langen Moment, sein aufgeregtes Gesicht war ernst geworden. Er runzelte die Stirn. »Hier.« Er kramte auf dem Boden seiner Schatzkiste herum und zog eine Spielzeugsonnenbrille hervor. »Behalte sie.« Sie war aus Plastik und viel zu klein für mich, aber er gab sie mir mit solcher Ernsthaftigkeit, dass ich nicht ablehnen konnte. Mit einigen Schwierigkeiten setzte ich sie auf. Sie reichte nicht bis hinter die Ohren und klemmte an meinen Schläfen wie ein Schraubstock, aber es war lieb gemeint. »Danke, Xavy.«
    »Rose?«, fragte er, immer noch ganz ernst. »Wo bist du gewesen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das ist schwer zu erklären. Ich habe eine Zeitlang geschlafen, aber jetzt bin ich wieder wach.«
    »Kannst du nicht bei mir wohnen? Du könntest in meinem Zimmer schlafen.«
    Ich lächelte. »Ich habe doch ein eigenes Zimmer.«
    »Aber dann könnte ich dich aufwecken, damit du nicht so lange schläfst und nicht wieder meinen Geburtstag verpasst.«
    »Es tut mir leid, dass ich deinen Geburtstag verpasst habe«,
sagte ich. »Aber jetzt werde ich erstmal nicht mehr so lange schlafen.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    Xavier klaubte die Spielsachen von meinem Schoß und nahm ihren Platz ein. Sein kleiner Arm schlang sich um meine Taille, und er vergrub seinen Kopf an meiner Schulter. »Du sollst nie wieder so lange schlafen, Rose. Du sollst bei mir bleiben, für immer und immer und
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