Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
Vom Netzwerk:
Flüstern gesenkt. »Wie ein verdammter Idiot.« Er schüttelte den Kopf. »Ich war vierundzwanzig. Ich hätte hartnäckiger sein müssen.« Selbsthass schwang in seinem Ton mit.
    Vierundzwanzig. Da wäre er nur acht Jahre älter gewesen als ich, erkannte ich voll Trauer.
    Er richtete sich ein wenig auf. »Ich weiß, dass sie danach überlegten, mich zu feuern, aber gesunde Leute mit ein bisschen Grips waren rar gesät in der Dunklen Epoche. Sie konnten es sich nicht leisten, mich zu verlieren. Also blieb ich schließlich. Arbeitete für den Feind. Ich dachte immer wieder daran, zu kündigen, doch ungefähr zu der Zeit stellte sich das volle Ausmaß der Tragödie der Globalen Ernährungsinitiative heraus. Ich war auch davon betroffen, zusammen mit Millionen anderen. Keine Kinder. Nie. Das dachte ich zumindest – verlässliche Gegenmaßnahmen waren damals noch nicht entwickelt worden. Ich hasste sie abgrundtief. Ich wusste, wie viel Macht UniCorp hatte, und dachte, wenn ich blieb, könnte ich vielleicht ein paar der schlimmsten Übel beheben.
    Ich begann damit, das Unternehmen zu sabotieren, auf seinen Untergang hinzuarbeiten, doch dann merkte ich, dass ich auch von der anderen Seite her ansetzen und es dazu benutzen konnte, tatsächlich etwas Gutes zu bewirken. Es ist ein langsamer Prozess, immer noch, und ich tue das Meiste davon im Stillen. Ich habe nie nach der Macht gestrebt, ich wollte nur die Macht von Männern wie deinem Vater und Reggie einschränken. Das war im Grunde alles, was ich tun konnte.«
    »Dir ist aber klar, dass du jetzt der Chef bist«, sagte ich.
    »Leider ja. Ich wollte das immer vermeiden, denn ich habe tatsächlich mehr Einfluss, wenn ich nicht voll im Rampenlicht stehe.«

    »Dann befördere Brens Vater«, sagte ich. »Delegiere an ihn. Er ist ein guter Mann, und er mag seine Arbeit. Du bist« – ich suchte nach einem anderen Wort für alt – »kurz vor dem Ruhestand. Die Unternehmensführung würde das verstehen.«
    Xavier runzelte die Stirn. »Das wäre eine Idee. Du hast recht, er könnte das machen. Annie hat eine gute Wahl getroffen.«
    »Ich mag sie«, erklärte ich.
    »Sie mag dich auch. Das hat sie mir gesagt.«
    Ich musste ihn einfach fragen. »Warum hast du sie Roseanna genannt?«
    Xavier blickte zu Boden. »Die Schwester meiner Frau war unter den Todesopfern. Sie hieß Hannah. Wir haben die Namen zusammengesetzt.«
    »Deine Frau wusste von mir?«
    »Natürlich. Wir haben uns geliebt.«
    Ich erwartete, eifersüchtig zu sein, war aber nur neugierig. »Wie war sie?«
    Er lächelte. »So wie du. Mitfühlend. Pflichtbewusst. Künstlerisch begabt. Wie gesagt, du warst mein Maßstab. Sie war ein bisschen robuster als du, aber die Überlebenden der Dunklen Epoche neigten dazu. Sie war Designerin in der Gestaltungsabteilung. Sie dachte sich ein Spiel aus: mich jedes Mal zum Lächeln zu bringen, wenn sie mir begegnete. Es wundert mich, dass sie überhaupt noch etwas Menschliches in mir gesehen hat. Sie hat mein ruppiges Wesen ertragen. Und all die anstrengenden, schmerzhaften Prozeduren, die nötig waren, um Ted und Annie zu bekommen.«
    »Das freut mich«, sagte ich leise. »Das freut mich sehr.« Ich brauchte das nicht auszuführen. »Vermisst du sie?«
    »Eigentlich nicht so sehr. Ich meine, ich wünsche mir schon, dass sie noch hier wäre – aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ein Teil von ihr tatsächlich noch hier ist.« Ausholend
deutete er auf die Wohnung. »Ihre Seele vielleicht. Die auf mich wartet.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber was weiß ich schon? Ich dachte auch mehr oder weniger, dass deine auf mich wartet.«
    »Das hat sie. Sie hat auf dich gewartet«, sagte ich. »Ich habe sie dir zur Aufbewahrung anvertraut. Wie meinen Preis der Jungen Meister.«
    »Den habe ich noch«, flüsterte Xavier.
    »Siehst du, und meine Seele hattest du auch. Ich habe sie dir bei unserem letzten Kuss gegeben.«
    »Deine Seele wollte ich nie an mich nehmen«, sagte Xavier.
    »Ich wollte sie dir aber geben. Behalte sie«, sagte ich lachend. »Ich habe mir eine neue wachsen lassen.«
    Ich warf einen Blick auf die Standuhr an der Wand. Der Krankenwagen sollte inzwischen hier sein. Otto. Er musste das Team aufgehalten haben. Gut so. Xavier wirkte entspannter, aber ich war noch nicht fertig mit den unangenehmen Fragen. »Warum hast du mir nicht gesagt, wer du bist?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie konnte ich das? Sechzig Jahre lang habe ich dich für tot gehalten, und dann ruft mein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher