Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
Vom Netzwerk:
miteinander reden.«
    Er senkte den Kopf. »Das ist jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt.«
    »Das ist jetzt vielleicht der einzige Zeitpunkt, an dem ich dich mal unter vier Augen erwische«, sagte ich. »Du gehst mir aus dem Weg, seit ich aus der Stasis heraus bin.«
    Xavier schluckte. »Das stimmt.«
    Ich warf Otto einen Blick zu. Otto, der die ganze Geschichte kannte. Er nahm meine Hand. »Ich gehe mit Bren hinunter in den Garten, wir warten auf die Polizei.«
    »Danke«, sagte ich. Ich sah den beiden nach und wandte mich dann Xavier zu.
    Er war nass und zerknautscht und hatte offenbar seit Tagen nicht geschlafen. Außerdem war er sichtlich kein bisschen scharf auf dieses Gespräch. Ich ging ins Bad, um ihm ein Handtuch zu holen, damit er sich wenigstens die Haare trocknen konnte.

    Zavier war dort mit einem Napf Hundefutter und einem Kauspielzeug eingesperrt. Er sprang auf, als ich die Tür öffnete, und ich schrie beinahe laut, weil er prompt mit Pfoten und Schnauze meine wundesten Stellen berührte. »Au! Aus, Zavier, sitz!«
    Er hockte sich hin, überglücklich, mich zu sehen. Ich schnappte mir ein frisches Handtuch und nahm ihn mit ins Wohnzimmer. »Hier«, sagte ich und warf Xavier das Handtuch zu.
    Er fing es ziemlich geschickt für einen alten Mann und trocknete sich Gesicht und Schultern mit soldatischer Präzision ab. »Magst du Dizzy?«, fragte er wie nebenbei.
    »Du hörst auf Dizzy?«, fragte ich Zavier. Er guckte einen Moment verwirrt drein und wedelte dann versöhnlich mit dem Schwanz. Ich tätschelte seinen blonden Kopf. »Ich habe ihn Zavier genannt«, sagte ich. »Mit Z.«
    Xavier erstarrte. »Oh«, machte er und bedeckte sein Gesicht wieder mit dem Handtuch, wohl mehr, um etwas zu tun haben, als weil es immer noch nass gewesen wäre.
    Ich musterte ihn und zwang mich, den Jungen in ihm zu sehen, den ich kannte. Das war nicht schwer. Ich konnte es kaum glauben, dass es mir nicht gleich aufgefallen war. Andererseits hatte er bis gestern Nacht nie mehr als fünf Minuten mit mir in einem Raum zugebracht. Und ich hatte es vielleicht auch nicht sehen wollen. Ich kraulte den Kopf meines Hundes. »Ich muss dich etwas fragen.«
    »Ich weiß«, sagte Xavier mit bleischwerer Stimme.
    Ich holte tief Luft. »Wie konntest du mich dort liegen lassen? Eine so lange Zeit?«, fragte ich möglichst ruhig.
    Xavier stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich langsam in einem Sessel nieder. »Du hast keine Vorstellung, wie sehr mich das gequält hat«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Diese
Frage habe ich mir die ganze Zeit gestellt, seit Bren dich gefunden hat. Ich habe kaum geschlafen. Ich ...« Er seufzte wieder und blickte dann auf. »Ich wusste es wirklich nicht.«
    »Wie kann das sein?«
    Xavier ruckte mit dem Kopf wie damals als Kind, wenn er glaubte, dass ich etwas nicht verstand. »Rose.« Er stockte. »Du hattest mit mir Schluss gemacht.«
    Ich nickte und versuchte zu verstehen. Mit hochgezogenen Beinen hockte ich mich auf die Couch. »Also dachtest du ... das sei nicht mehr deine Aufgabe?«
    »Nein.«
    »Bitte, ich will das begreifen, Xavier. Entweder hast du dich von deiner Verantwortung für mich freigesprochen, oder du fandest, dass ich es verdient hatte, mein Leben zu verlieren. Und ich weigere mich, das zu glauben. Auch wenn ...« Es war erstaunlich schwer, die nächsten Worte aus all dem Kummer hervorzupressen. »Auch wenn du dich sogar noch von mir ferngehalten hast, als ich zurück war.«
    »Nein, verdammt ...« Er rang nach Worten. »Es gibt keine Absolution für mich! Weißt du, wie viel Zeit vergangen ist? Ich blicke auf fünfzig, sechzig Jahre zurück, auf all die Momente meines Lebens, und zermartere mir immer wieder das Gehirn, um zu verstehen, wie ich das geschehen lassen konnte, aber es gibt nichts, was mich von diesem ... Versäumnis freisprechen könnte. Wie sollte ich mich dir zu erkennen geben? Wie konnte ich dich mit meiner Existenz belasten? Besser, ich ließ dich in dem Glauben, dass ich gestorben war wie alle anderen.«
    Ich musterte ihn. Das war tatsächlich nicht mein Xavier. Mein Xavier hatte lachende Augen gehabt. Mein Blick fiel auf das Skizzenbuch auf dem Couchtisch, das ich dort liegengelassen hatte, als ich mir schnell ein neues für den Trip mit Reggie
geholt hatte. Ich zog es heran und fand ein leeres Blatt. »Hast du je nach mir gesucht?«, fragte ich, während ich den Kohlestift aus der Spiralbindung zog.
    »Ja«, sagte er überraschenderweise. »Aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher