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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
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Andererseits, hätte ich dich damals gleich befreit, wärst du wahrscheinlich auch der Krankheit zum Opfer gefallen. Die Pest brach genau an jenem Tag über ComUnity herein.« Er seufzte bei der Erinnerung. »Ich saß dort, allein in meiner Zelle. Die Anzeige war noch nicht aufgenommen worden. Und während ich wartete, sah ich auf einmal durch die Gitterstäbe, wie die Leute Schweißausbrüche bekamen und husteten und sich an die Brust griffen und schrien und schrien ...« Er schüttelte sich. »Ich kauerte mich in eine Ecke und hielt so viel Abstand zu dem um sich greifenden Tod, wie ich konnte. Ich hatte ... schreckliche Angst. Und war auf einmal sehr froh, dass ich dich nicht gefunden hatte. Auch von der Straße
draußen kamen Schreie und unablässiges Sirenengeheul von Krankenwagen. Dann hörte es irgendwann auf, aber die Stille war noch viel beängstigender.« Jetzt zitterte mehr als seine Hand. »Ich hatte nichts zu essen, kein Wasser, zwei Tage lang. Und dann wurde ich auch krank.«
    »Nein!«
    Er machte eine abwiegelnde Geste. »Ich war weit weg von Menschenansammlungen und hatte keinen Körperkontakt mit jemandem gehabt, sodass mich die Seuche erst erwischte, als sie über die Luft übertragen wurde. Irgendwann begann ich zu husten, gegen Ende, als die Toten im Revier zu verwesen anfingen. Doch zu dem Zeitpunkt hatte ich keine Angst mehr. Ich war beinahe erleichtert. Ich wollte nicht mehr da sein. Gerade, als ich mich damit abfand zu sterben, drückten einige Sicherheitsleute von UniCorp in Seuchenschutzanzügen die Türen auf, die von den Leichenhaufen versperrt wurden, und spritzten mir Antibiotika in die Venen.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Mom und Dad waren tot. Princeton war eine Geisterstadt. Mark und Jacqueline waren verschwunden, abgereist, wie ich später herausfand, zu einer ihrer außerirdischen Kolonien. Wie durch ein Wunder hatten sie die Pest nicht dort eingeschleppt. Ich wurde für den Zivilschutz verpflichtet und brachte die nächsten fünf Jahre damit zu, Pestopfer zu behandeln, Unruhen zu unterdrücken und Vorräte zu verteilen.« Er sah mir in die Augen. »Ich will damit nicht sagen, dass ich nicht mehr an dich gedacht habe. Du warst immer in meinen Gedanken. Das konnte gar nicht anders sein. Du warst so lange Teil meines Lebens, dass du einen Abdruck in meiner Psyche hinterlassen hattest. Aber ich war von Tod umgeben. Ich wusste, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder warst du sicher aufgehoben in Stasis oder schon friedlich im Jenseits. So oder so konnte ich nichts für dich tun.«

    Ich schraffierte seine Augen in meiner Skizze. Ja, ich sah das Grauen dort. Die strengen Linien, die all das Leid in seine Züge gegraben hatte.
    »Als ich meinen Dienst beim Zivilschutz beendet hatte, bewarb ich mich um ein Praktikum bei UniCorp. Ein ordentliches Studium war zwar auf der Strecke geblieben, aber meine Zeit beim ZS zählte als Plus in meinem Lebenslauf. Ich war zuerst überrascht, dass sie mich nahmen, aber man kannte mich natürlich. Mom und Dad hatten für Mark gearbeitet, und deine Eltern erinnerten sich noch an mich. Offenbar war es bei all dem Chaos nie zu ihnen durchgedrungen, dass ich bei ihnen zu Hause eingebrochen hatte.« Er holte tief Luft. »Ich trat nur aus einem Grund in UniCorp ein: Um ihnen nahe zu sein und sie nach dir auszuhorchen.«
    Das haute mich um. Ich ließ den Stift sinken. »Wirklich?«
    Er starrte mich an. »Du warst immer gegenwärtig in mir, Rose. Ich konnte dich nie vergessen. Oftmals wünschte ich, ich könnte es. Ich träumte häufig von dir. Die Träume kamen ohne Vorwarnung, wie aus dem Nichts. Ich musste noch nicht einmal bewusst an dich gedacht haben tagsüber, und da warst du wieder. Und jedes Mal sagte ich dir während des ganzen Traums, wie sehr ich dich vermisste. Morgens, wenn ich aufwachte, schlug ich mir gegen den Kopf und verfluchte meine Psyche. Du warst immer noch der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens. Mein Maßstab. Jeder Mensch, mit dem ich sprach, jeder Freund, jede Frau, die sich je für mich interessierte, wurde an meiner Erinnerung an dich gemessen.«
    Ich wollte lächeln, ich wollte weinen. Es war tragisch. Ich vollendete lieber meine Skizze.
    »Als ich endlich in die Nähe deiner Eltern kam, fragte ich sie nach dir. Sie wurden sehr wütend, dein Vater hätte mich beinahe geschlagen. >Lass die Vergangenheit ruhen<, sagte er.
>Wir graben unsere Toten nicht wieder aus.< Und ich glaubte ihm.« Xaviers Stimme hatte sich zu einem
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