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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
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Enkel aus heiterem Himmel an und sagt, er hätte Rosalinda Fitzroy im Keller entdeckt, und die ganze Welt wird aus den Angeln gehoben.« Er rieb sich die Schläfe, als hätte er Kopfschmerzen. »Die ganze Vergangenheit ist auf mich eingestürzt. Ich wurde regelrecht entzweigespalten. Als hätte ich es versäumt, das Leben zu leben, für das ich bestimmt war, und hätte mir das von jemand anderem übergestreift, das all diese Jahre verschlungen hat. Da war das Ich, das ich kannte: Vater, Großvater, Geschäftsmann. Und dann tauchte da dieser wütende, verletzte junge Mann in mir auf, und du glaubst nicht, wie er mich gehasst hat. Er schrie mich an, mitunter die halbe Nacht. Die ganze Zeit war sie hier, buchstäblich unter deinen Füßen! Wieso
bist du nicht losgegangen und hast sie berausgeholt?« Xavier seufzte. »Er gab mir die ganze Schuld.«
    Er schniefte, schloss die Augen. »Du warst so mitleiderregend, nur Haut und Knochen. Und so schrecklich jung .«
    Ich dachte darüber nach. Er hatte eine Frau gehabt. Hatte zwei Kinder großgezogen. Sein Enkelsohn war im selben Alter wie ich. Ich musste ihm als das reinste Kind vorkommen. Wie ironisch. Ich hatte mitgeholfen, ihm das Laufen beizubringen.
    »Ich überlegte, es dir zu sagen, gleich zu Anfang, als du noch im Krankenhaus lagst. Aber als du mich nicht erkannt hast, dachte ich ... es ist vielleicht am besten so. Wie solltest du mir nicht vorwerfen, dich im Stich gelassen zu haben? Wo ich doch der Einzige war, der Bescheid wusste.«
    Meine Skizze war fertig. Da war er. Ein gramgebeugter, gepeinigter alter Mann, dem das Liebesleid aus den Augen sprach. Ich verstand alles besser, wenn ich es zeichnete. Xaviers Strahlen war in der Dunklen Epoche erloschen. Es war meine Aufgabe, es wiederzubeleben, es aus der Stasis herauszuholen und seinem Gesicht zurückzugeben. Ich stand auf.
    Xavier sah mich neugierig aus seinen milchig-grünen Augen an. Ich grinste. »Du bist aber gewachsen!«, sagte ich.
    Er guckte verwirrt. »Was?«
    »Das habe ich immer gesagt. Es ist eine Tradition.«
    Xavier blickte seufzend an sich herunter. »Ich glaube nicht, dass du sie fortsetzen kannst. Das Alter hat die Tendenz, einen zu beugen.«
    »Schuldgefühle auch«, erwiderte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Hör auf, dich selbst zu hassen. Es war nicht deine Schuld. Meine auch nicht. Es ist einfach so gekommen.«
    Er legte für einen Moment seine Hand auf meine, ließ sie dann wieder fallen. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er.

    Tränen brannten in meinen Augen. »Ich habe dich auch vermisst. Ich habe alles vermisst.«
    Wir schwiegen eine Weile. Ich sank auf die Knie und lehnte meinen Kopf gegen die Lehne seines Sessels. »Tja«, sagte ich, »wenigstens kannst du jetzt deine Wohnung wiederhaben.«
    Xavier schüttelte den Kopf. »Nein, sie gehört dir.«
    Ich antwortete ebenfalls mit einem Kopfschütteln. »Ich habe ja nicht gesagt, dass ich ausziehe.«
    »Was meinst du?«
    Ich richtete mich gerade auf und sah ihm ins Gesicht. »Ich meine, dass ich endlich gelernt habe, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Kein passives Hinlegen mehr und mir von anderen sagen lassen, was ich zu tun habe. Ich weiß, was ich will, und ich will dich. Ich möchte, dass du mein Vormund bist.«
    Xavier verneinte entschieden mit seinem weißen Kopf. »Das geht nicht, Rose. Das wäre nicht richtig.«
    »Wer sagt das denn? Xavier, wann war je etwas falsch an unserem Zusammensein? Ich bin nicht naiv«, schnitt ich ihm schnell das Wort ab. »Ich weiß, was zwischen uns sein kann und was nicht. Wir haben etwas verloren. Diese flammende, alles verzehrende Leidenschaft der ersten großen Liebe. Und das ist nicht gerecht.« Der Wunsch zu weinen war mir anzuhören, aber ich unterdrückte ihn. Ich musste ihn überzeugen. »Es wird ewig ungerecht bleiben. Ich werde ewig darum trauern, genau wie du. Meine Eltern haben dich mir genommen, sie haben mir mein Leben mit dir genommen. Aber das ist nicht alles, was uns verbindet. Das ist der geringste Teil. Wir hatten etwas viel Beständigeres, etwas, das Zeit und Altersunterschied nicht zerstören können. Ich kenne dich, Xavier! Wir waren immer zusammen, und es war nicht immer Liebe im romantischen Sinn. Du warst zuerst mein kleiner Bruder, dann
mein bester Freund. Warum können wir nicht weitermachen? Wieder etwas anderes füreinander sein? Ich bin ganz allein. Ich brauche dich jetzt. Ich brauche meine Familie.« Verdammt, jetzt weinte ich doch.
    Seine
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