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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief
Autoren: Anna Sheehan
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offenbar nicht ausgiebig genug.«
    »Erzähl mir davon«, sagte ich. Ich lehnte mich zurück und ließ meine Hände eine neue Skizze von ihm beginnen.
    »Zuerst war mir einfach nicht klar, was passiert war«, sagte er. »Nachdem du dich von mir verabschiedet hattest. Ich sah dich auf den Fluren, aber du gingst mir aus dem Weg. Zwischendurch warst du immer mal wieder verschwunden, dann wurde ich nervös, aber du tauchtest jedes Mal wieder auf und hast mich konsequent gemieden. Anfangs habe ich wirklich geglaubt, dass du nicht mehr mit mir zusammen sein wolltest. Und dann, als du schließlich für lange Zeit verschwunden bliebst, war ich froh. Ich wollte dich nicht mehr sehen. Es ... man nimmt alles so schwer in dem Alter. Es tat weh, dich zu sehen und dir fernbleiben zu müssen.«
    Ich lächelte wehmütig. Ich war immer noch in dem Alter. »Doch dann ... war beinahe ein Jahr vergangen. Åsa war fort, und ich fragte mich, ob ... ob Mark und Jacqueline dich vielleicht gezwungen hatten, mit mir Schluss zu machen. Und weil du nicht mehr das Musterkind sein wolltest, das sie geschaffen hatten, hatten sie dich in die Stasis gesteckt, einfach um dich loszuwerden. Zuerst war es nur ein leiser Verdacht, ich traute ihnen nicht zu, dass sie so weit gehen würden. Doch er nagte beständig an mir, bis ich kurz davor war, aufs College zu gehen.« Ich skizzierte eine Studie von Xaviers faltigen Händen, die seine Worte unterstrichen.
    »Dann wäre ich weg, und es gäbe niemanden mehr, der sich darum kümmerte, wo du warst, oder überhaupt von deiner Existenz wusste. Also wartete ich ab, bis deine Eltern zu einer
dieser Wohltätigkeitsgalas deiner Mutter gingen, und brach in eure Wohnung ein.«
    Ich sah es lebhaft vor mir, wie er sich heimlich Zugang zum Zentralcomputer von Unicorn verschaffte und sich in die Türcodes hackte, bis er in die Wohnung eindringen konnte.
    »Ich hatte keine Ahnung, ob du dich freuen würdest, mich zu sehen, oder nicht. Aber ich war achtzehn und hatte bereits ein eigenes Zimmer in Princeton. Und egal, was du über mich dachtest, ein Jahr in Stasis ohne zwingenden Grund war mehr als absurd. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es auf jeden Fall einen Missbrauch darstellte.«
    Er seufzte. »Ich wollte dir wenigstens die Möglichkeit geben ... nicht mit mir zusammen zu sein, aber ... da rauszukommen. Keine Stasis mehr, kein Verkleiden mehr als Mamis kleines Püppchen, kein >Ja, Daddy, natürlich Daddy< mehr. Nur du selbst. Nur Rose.«
    Mit meinen noch schmerzenden Wunden von dem Kampf mit dem Plastobot konnte ich mir gut vorstellen, was dann passiert wäre. Die Killermaschine hätte uns in Princeton aufgespürt, brandneu und frisch aus dem Labor, nicht geschwächt von zweiundsechzig Jahren Vernachlässigung. Darauf programmiert, jeden zu töten, der sie aufhalten wollte.
    Dieser Gedanke brachte mich ins Grübeln. Wenn ich vor die Wahl gestellt worden wäre, damals, bevor sie mich in der Stasis begraben hatten, meine Liebe zu ihm aufzugeben oder seinen Tod in Kauf zu nehmen, wäre die Entscheidung klar gewesen. Ich hätte bereitwillig zweiundsechzig Jahre meines Lebens für seines hingegeben. Das Schicksal war immer gegen uns gewesen, auch wenn ich ihn noch so sehr liebte.
    Xavier holte tief Atem. »Oder nur du und ich, wenn du gewollt hättest. Wie früher, wie immer. Ich vermisste dich so sehr.«

    Ich schloss die Augen. Auf einmal regte sich etwas in meiner Brust, das ich seit dem Erwachen aus dem langen Schlaf nicht mehr gespürt hatte. Kein aufgeregtes Herzklopfen, keine schwindelerregenden Hoffnungen, sondern ein kleiner Funke echter Freude.
    »Ich schlich mich in deine Kammer, aber deine Stase-Röhre war nicht mehr dort«, sagte Xavier. »Dein Zimmer sah noch genauso aus, mit all deinen Sachen, aber du warst weg. Ich stand da und wusste nicht, was ich tun sollte. Dann plötzlich stellte sich heraus, dass meine Hackerfähgkeiten der Herausforderung doch nicht so ganz gewachsen waren. Ich hatte irgendwo einen Alarm ausgelöst, und die Polizei kam hereingestürmt und verhaftete mich. Sie steckten mich über Nacht in eine Verwahrzelle und versuchten, Mark und Jacqueline zu erreichen, um mich wegen Einbruchs anzuzeigen.« Er hielt kurz inne. »Sie kamen nicht weit mit der Anklageerhebung. Noch vor Tagesanbruch waren fast alle auf dem Polizeirevier tot.«
    Schockiert sah ich von meinem Skizzenbuch auf. »Oh nein«, flüsterte ich.
    Er nickte. »Mein Timing hätte besser sein können, schätze ich.
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