Während die Welt schlief
denn es war grell und staubig. Ich ging durch eine merkwürdige Stille, ähnlich der eines Friedhofs. Die unhörbaren Geräusche der verschwundenen Seelen und der verbannten Geschichten krochen meine Füße hoch wie Ameisen.
Ich dachte, dass alles vorbei wäre. Dass die Israelis fortgegangen wären. Es war so ruhig gewesen. Ich dachte, dass das Auto, das ich gehört hatte, ein Hilfsgüterwagen, ein Rettungswagen, wäre.
Ich hatte mich getäuscht.
Es war ein israelischer Militärlastwagen. Er stand ein Stück weiter weg auf einer Steppe aus Trümmern, wo noch vor ein paar Tagen Hunderte Häuser gewesen waren. Die Ladefläche bog sich unter dem Gewicht der leblosen Gestalten, die wie Holz aufeinandergestapelt waren. Der Lastwagen hatte angehalten, um den verstümmelten Körper eines Palästinensers einzusammeln, der an einem vorstehenden Metallstab an einem halb zerstörten Haus hing. Um seinen Kopf war ein schwarz-weißes Band geschlungen, um seine Arme zwei kommunistische, rote Armbinden. Symbole, die hohl geworden waren im Angesicht des Todes in diesem Laster voller Holz.
Das Ausmaß meines Irrtums wurde mir klar. Vorsichtig, nur
die Augen bewegend, schaute ich hoch und sah die Heckenschützen. Die Juden sind noch immer hier.
Klick. Klick.
Ein jähes, metallisches Geräusch erschreckte mich, und als ich mich umdrehte, spürte ich eine Gewehrmündung an meiner Stirn, bevor ich in das junge Gesicht eines Soldaten sah.
Dieser Moment gehörte uns, er verdrängte den Staub und band uns aneinander.
Hier stehen wir also. Ich sehe, wie seine Kontaktlinsen sich bewegen und der Schweiß auf seiner Stirn perlt.
Ich empfinde eine unerklärliche Gelassenheit. Der Tod in seiner Unausweichlichkeit verlangt Respekt und einen Moment der Sammlung, bevor er meine Hand nimmt.
Aber er schießt nicht.
Seine Augen blinzeln angestrengt. Ein einzelner Schweißtropfen läuft ihm die Wange herunter. Ich sehe, wie er heruntertropft, und bemerke seine glatte, junge Haut, die noch keine tägliche Rasur benötigt.
Die Macht über Leben und Tod zu besitzen ist eine schwere Last für einen so jungen Mann. Er ist sich dessen bewusst und möchte, dass man sie ihm abnimmt. Er ist zu schön, um nicht eine Freundin zu haben, die ungeduldig auf seine Rückkehr wartet. Er wäre lieber mit ihr zusammen als mit seinem Gewissen, mit der Bürde oder mit mir.
Ich weiß, dass er schon getötet hat. Er weiß, dass ich es weiß. Er hat aber noch nie in das Gesicht seines Opfers geschaut. Meine Augen, erfüllt mit der Sanftheit mütterlicher Liebe und der Ruhe einer Toten, drücken ihn unter die Last seiner eigenen Macht, und ich habe das Gefühl, dass er weinen wird. Nicht jetzt. Später. Wenn er seinen Träumen und seiner Zukunft in die Augen schaut.
Ich habe Mitleid mit ihm. Mitleid mit dem kleinen Jungen, den ich hinter dem Mörder erkennen kann. Mitleid mit der Jugend, die verraten wurde von ihren Führern, für Symbole, Flaggen, Krieg und Macht. Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, er könnte mein Neffe sein. Aber nein. Uri zweifelt keinen Moment an seiner Pflicht, für Israel zu töten. Dieser Soldat ist nicht mein Neffe.
Seltsam, seltsam , er ist schön, und ich liebe ihn.
Hat Yussuf David auf diese Art betrachtet? Mit einer unerklärlichen Liebe?
Oh, David, mein Bruder! Jetzt verstehe ich dich so gut. Du hast wie ein Fremder in deiner eigenen Haut gelebt. Jahrelang hast du mich gesucht, hast nie aufgegeben, auch wenn jede Spur zu deiner Familie dich zu einem Grab oder zu einer Todesnachricht in einer Zeitung führte. Nur in der zeitweiligen Betäubung durch Alkohol konnte dein Herz Ruhe finden. Deine letzte Hoffnung war, dass ich, deine Schwester, eine Brücke über den Abgrund deiner Einsamkeit schlagen könnte, mit dem erstaunlichen Willen der Heimatlosen. Und als du mich gefunden hast, bin ich nicht auf dich zugegangen. Du hast mir deine Beschämung und deine Sünden gebeichtet, ich aber habe mich hinter meinem eigenen Schmerz verschanzt und schweigend zugehört. Oh, mein Bruder! Ich spüre, dass etwas Neues auf uns zukommt, so etwas wie eine Wiedergeburt. Sie wird mit deiner Vergebung beginnen. Wenn das hier vorbei ist, komme ich zu dir. Das hört bald auf. Die Welt kann das doch nicht so weitergehen lassen. Die Zerstörung hier ist jenseits jeder Vorstellung. Israel kann das doch nicht verheimlichen. Nein, niemals. Am Ende wird die Welt alles erfahren. Die Dinge werden sich ändern. Ich komme bald zu dir und bitte dich um
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